Der historische Faust
zeitgenössische Zeugnisse
„»Jener Mensch, über welchen du mir schreibst, Georg Sabellicus, welcher sich den Fürsten der Nekromanten zu nennen wagte, ist ein Landstreicher, leerer Schwätzer und betrügerischer Strolch, würdig ausgepeitscht zu werden, damit er nicht ferner mehr öffentlich verabscheuungswürdige und der heiligen Kirche feindliche Dinge zu lehren wage. Denn was sind die Titel, welche er sich anmaßt, anders als Anzeichen des dümmsten und unsinnigsten Geistes, welcher zeigt, dass er ein Narr und kein Philosoph ist! So machte er sich folgenden, ihm konvenierenden Titel zurecht: Magister Georg Sabellicus Faust der Jüngere, Quellbrunn der Nekromanten, Astrolog, Zweiter der Magier, Chiromant, Aeromant, Pyromant, Zweiter der Hydromantie. — Siehe die törichte Verwegenheit des Menschen; welcher Wahnsinn gehört dazu, sich die Quelle der Nekromantie zu nennen! Wer in Wahrheit in allen guten Wissenschaften unwissend ist, hätte sich lieber einen Narren denn einen Magister nennen sollen. Aber mir ist seine Nichtswürdigkeit nicht unbekannt. Als ich im vorigen Jahre aus der Mark Brandenburg zurückkehrte, traf ich diesen Menschen in der Nähe der Stadt Gelnhausen an, woselbst man mir in der Herberge viele von ihm mit großer Frechheit ausgeführte Nichtsnutzigkeiten erzählte. Als er von meiner Anwesenheit hörte, floh er alsbald aus der Herberge und konnte von niemandem überredet werden, sich mir vorzustellen. Wir erinnern uns auch, dass er uns durch einen Bürger die schriftliche Aufzeichnung seiner Torheit, welche er dir gab, überschickte. In jener Stadt erzählten mir Geistliche, er habe in Gegenwart vieler gesagt, dass er ein so großes Wissen und Gedächtnis aller Weisheit erreicht habe, dass, wenn alle Werke von Plato und Aristoteles samt all ihrer Philosophie durchaus aus der Menschen Gedächtnis verloren gegangen wären, er sie wie ein zweiter Hebräer Esra durch sein Genie sämtlich und noch trefflicher wiederherstellen wolle. Als ich mich später in Speyer befand, kam er nach Würzburg und soll sich in Gegenwart vieler Leute mit gleicher Eitelkeit gerühmt haben, dass die Wunder unseres Erlösers Christi nicht anstaunenswert seien; er könne alles tun, was Christus getan habe, so oft und wann er wolle. In den Fasten dieses Jahres kam er nach Kreuznach, wo er sich in gleicher großsprecherischer Weise ganz gewaltiger Dinge rühmte und sagte, dass er in der Alchemie von allen, die je gewesen, der Vollkommenste sei und wisse und könne, was nur die Leute wünschten. Während dieser Zeit war die Schulmeisterstelle in gedachter Stadt unbesetzt, welche ihm auf Verwendung von Franz von Sickingen, dem Amtmann deines Fürsten, einem nach mystischen Dingen überaus begierigen Manne, übertragen wurde. Aber bald darauf begann er mit Knaben die schändlichste Unzucht zu treiben und entfloh, als die Sache ans Licht kam, der ihm drohenden Strafe. Das ist es, was mir nach dem sichersten Zeugnis von jenem Menschen feststeht, dessen Ankunft du mit so großem Verlangen erwartest.« (In: Johannes Trithemius, Epistolae familiares. Haganoae 1536, S. 312 ff. Original: Rom, Vatikanische Bibliothek, Pal. Lat. 730, 174 r -175 r .)” [Mahal, S. 63 f.] „Des Trithemius’ Brief an Virdung ist nichts anderes als ein einziges großes und mit dickem Rotstift markiertes Ausrufezeichen, ein rigoroses Ultimatum, das unverhohlen an den Corpsgeist einer exklusiven Bildungselite appelliert, an das verschworene Gruppenbewusstsein einer humanistischen und magischen Bruderschaft, das keine Ungebildeten und schon gar keine Halbgebildeten dulden kann — insbesondere keine liederlichen Taschenspieler wie jenen Faust, dessen Kreuznacher Päderastie-Episode unvergessen ist, der vor den heiligsten Dingen der Kirche, den Wundern Christi, nicht zurückscheut, der sich anmaßt, Plato und Aristoteles, die kostbarsten und verehrungswürdigsten Zeugen antiker Humanität, auswendig zu können. Den expliziten Vorwurf der Teufelsbündlerei erhebt er jedoch — merkwürdigerweise — nicht gegen Faust. Dies ist freilich nicht die einzige Sonderbarkeit im Brief des Abtes an Virdung. »Die schriftliche Aufzeichnung seiner Torheit, welche er dir gab«, der magisch-mantische Meisterbrief also, über den Virdung im vorausgegangenen Schreiben an Trithemius berichtet haben muss — damit kann nicht [1] der von Trithemius aufgeführte, »ihm konvenierende Titel« gemeint sein: »Quellbrunn der Nekromanten, Astrologe, Zweiter Magier, Chiromant, Aeromant, Pyromant, Zweiter in der Wasserkunst.« Denn diesen vollmundigen Katalog hätte ja Virdung bereits besessen, und es wäre überflüssig gewesen, ihm »Informationen« zu liefern, die er längst hatte. Nein, hier bastelte Trithemius, um die Abschreckung seines Briefpartners zu steigern, einen neuen — Virdung noch unbekannten — Steckbrief zusammen; und er scheute dabei auch nicht die Attitüde des gefürchteten Hexenjägers, vor dem Faust wie ein Dieb durchs Hintertürchen Reißaus nimmt, kaum, dass er von der Ankunft des Abtes in Gelnhausen hört. Was Virdung in Händen hatte und was Trithemius vertraut war, jene »schriftliche Aufzeichnung seiner Torheit« — das war vermutlich eine Art Inhaltsverzeichnis oder Programmfolge, so etwas wie ein Theaterzettel. Einen solchen Zettel mit einer Tabelle seiner vielfältigen Künste, eine derartige zusammenfassend und marktschreierisch formulierte Selbstankündigung brachte Faust — wahrscheinlich gedruckt — unter die Leute. Denn er war auf Werbung angewiesen, solange er am Anfang seiner Karriere als fahrender Magier ein möglichst großes, zahlungswilliges Publikum auf sich aufmerksam machen musste. In einer Ära ohne Tageszeitungen gehörte Rasseln zum Geschäft. Wer sich auf Schusters Rappen von Auftritt zu Auftritt durchschlagen musste, war gezwungen, auf die Pauke zu hauen und auf die Sensationssucht der Menge zu spekulieren.” [Mahal, S. 80 f.] „Schrieb Trithemius wirklich über Faust? Dass er korrekt berichtete, erscheint jedenfalls als ausgeschlossen: Dazu lag das Nicht-Kennenlernen der beiden zu lange zurück, und dazu roch der angebliche »Titel« Fausts zu sehr nach Studierzimmer, nach den Notizzetteln zu den magischen Schriften des Abtes. Beging der für seine phantasievollen Eskapaden berüchtigte Trithemius Faust gegenüber eine planvoll inszenierte Geschichtsfälschung? Oder schrieb Trithemius eher über sich selbst? War ihm jener Faust mit seinen tollen Versprechungen — ebensolche hatte der Abt ja in seiner Steganographie gemacht — gerade recht als Sündenbock, als Zielscheibe, auf die er sämtliche gegen ihn selbst gerichteten Vorwürfe ab- und umlenken konnte? Meinte er den Verdacht unerlaubter Magie umso eher loszuwerden, je heftiger er andere Magier anprangerte, je krampfhafter er sich bemühte, als treuer Sohn der Kirche anerkannt zu werden?” [Mahal, S. 83] „[...] Faust brachte es [...] fertig, sich mit seinen Versprechungen magischer Meisterschaft auch bei dem [...] von Johannes Reuchlin erzogenen Franz von Sickingen [...] interessant zu machen und Sickingens astrologischen Berater Johann Virdung mit Spannung auf seine Ankunft zu erfüllen.” [Mahal, S. 85] „Ob es sich bei den Titeln tatsächlich um dreiste Selbstanpreisungen Fausts handelte oder um von dem Abt aus der Erinnerung oder nach einer Vorlage zusammenstellte oder vielleicht auch frei erfundene Programmpunkte einer großen magischen Show, ist nicht zu klären.” [Mahal, S. 88] „»Vor acht Tagen kam ein Chiromant nach Erfurt, namens Georgius Faustus Helmitheus Hedelbergensis, ein bloßer Prahler und Narr. Seine Kunst, wie die aller Wahrsager, ist eitel, und eine solche Physiognomie leichter als eine Wasserspinne. Die Dummen sind voller Bewunderung. Gegen ihn sollten sich die Theologen erheben, statt dass sie den Philosophen Reuchlin zu vernichten suchen. Ich hörte ihn im Wirtshaus schwatzen; ich habe seine Anmaßung nicht gestraft; denn was kümmert mich fremde Torheit?« (In: Wilhelmus Ernestus Tentzelius, Svplementvm Historiae Gothanae Primvm Conradi Mvtiani Rvfi ... Epistolas Plervnque Ineditas Carmina Et Elegia Complectens. [Bd. 1] lenae 1707, S. 95. Original: Frankfurt/M., Stadt- und Universitätsbibliothek Cod. lat. oct. 8, fol. 97r.).” [Mahal, S. 91] „»Rudes admirantur«, heißt es in seinem Faust-Bericht vom Erfurter Wirtshaustisch: »Die Menge bewundert ihn«, Faust nämlich, den Chiromanten, der sich »Helmitheus Hedelbergensis« nennt, den Halbgott aus Heidelberg. Jener mit lauten und tolldreisten Sprüchen und Späßen aufwartende Mensch konnte natürlich nicht nach des feinen, stillen Mutianus’ Geschmack sein. Wie dieser sich aufführte, war das Gegenbild des mutianischen Ideals. Und Fausts Publikum, die »rudes« — auch sie waren genau diejenigen, die Mutian nicht meinte, wenn er sein Wissen an Auserlesene und Würdige weitergeben wollte, an Leute also, die nicht in den Schenken hockten und gafften, sobald ein Schreihals ihnen etwas vorschwatzte.” [Mahal, S. 94] „Faust taucht sechs Jahre nach dem verleumderischen Brief des gelehrten Abtes von Sponheim in der traditionsreichen Universitätsstadt Erfurt auf. Soweit es unsere wenigen Quellen erkennen lassen, kommt er damit erstmals mit akademischer Gelehrsamkeit in Berührung, an einem Ort, der für seine noch junge, aber bereits sehr kräftige humanistische Strömung bekannt ist, in einer Stadt, in der er damit rechnen muss, skeptischen und kritischen Geistern zu begegnen, Leuten, die ihm gehobenen Schabernack und großspurige Selbstanpreisungen nicht abnehmen würden — immer vorausgesetzt, Faust habe tatsächlich dem vernichtenden Psychogramm entsprochen, das Trithemius in seinem Brief an Virdung gezeichnet hatte. Indessen ist es [...] um den Wahrheitsgehalt des Trithemius-Steckbriefes recht dubios bestellt, und so muss zumindest die Möglichkeit erwogen werden, ob Faust nicht versucht haben könnte, zu den Erfurter Universitäts- und Humanistenkreisen Zugang zu gewinnen. Ob man nun die weitgehende Vermutung äußert, Faust habe sich eine Stelle als akademischer Lehrer ergattern wollen, oder ob man die bescheidenere Überlegung anstellt, Faust habe als Gasthörer der Universität Fortbildung betreiben wollen — in jedem Fall zeigte Fausts Eintreffen in Erfurt sein Interesse an der geistigen Physiognomie dieser Stadt. Wie lange er sich hier aufhielt, ist unbekannt. Es mögen nur Tage gewesen sein; es spricht aber nichts dagegen, auch einen längeren Aufenthalt in Erfurt anzunehmen, wofür die reiche Sagenbildung um den Erfurter Faust sprechen könnte, vor allem der vergebliche Bekehrungsversuch des Sünders und Teufelsbündlers durch den Mönch Dr. Klinge [...].” [Mahal, S. 103] „Faust hat sicher viel Unfug getrieben und musste sich andererseits viel in die Schuhe schieben lassen, was nicht auf sein Konto ging. Nur auf einem Gebiet behält er in allen Nachrichten, die wir über ihn haben, eine weiße Weste. In der Astrologie. Ganz offensichtlich galt er im ganzen damaligen deutschen Reich als Spitzenastrologe.“ [Conradt/Huby, S. 132] „»Item X guld[en] geben und geschenckt doctor faustus ph[ilosoph]o zuvererung hat m[einem] g[nedigen] herrn ein nativitet oder Indicium gemacht, zalt am Sontag nach stolastice Jussit R[everendissi]mus.« (In: Johann Mayerhofer, »Faust beim Fürstbischof von Bamberg«. In: Vierteljahrsschrift für Litteraturgeschichte 3, 1890, H. 1, S. 177 f. Original: Bamberg, Bayrisches Staatsarchiv, Bestand A 231, Nr. 1741.).” [Mahal, S. 106] „Es wäre müßige Spekulation, wollte man zwischen [Lorenz] Beheim und Faust, der ja ein Jahr vor dessen Tod in Bamberg auftauchte, eine engere Beziehung konstruieren. Nimmt man aber die Tatsache zur Kenntnis, dass außer der Rechnung, die Fausts Horoskop für Georg III. belegt, nichts weiter über astrologische Neigungen des Bischofs bekannt ist, so scheint es nicht abwegig, dass der Bischof durch Beheim auf Faust aufmerksam gemacht und vielleicht sogar mit diesem zusammengebracht worden sein könnte.” [Mahal, S. 115] „Es darf als sicher gelten, dass der umfassend gebildete und interessierte Bischof Georg III. sich im Alter von knapp 50 Jahren [...] die Nativität nicht von irgendeinem dahergelaufenen Dilettanten stellen ließ, von einem bloßen Honorarjäger, sondern von einem, der sein Handwerk beherrschte und dies bereits mehrfach unter Beweis gestellt hatte. Einem Betrüger aufzusitzen, konnte der Bamberger Bischof durch zuverlässige Informanten vermeiden, die er in seiner kritischen und abwägenden Art um Rat hätte fragen können. Wenn es Faust gelang, bei diesem Kirchenfürsten vorgelassen zu werden, um von ihm ein Konterfei aus den Sternen anzufertigen, dann musste er erstens als vertrauenswürdig und zweitens als bewährter Experte in seinem Fach gelten.” [Mahal, S. 119 f.] „Vorerst hat man sich aber zu bescheiden mit dem nüchternen Auszug aus einem Kassenbuch, aus »Hansen Mullers Cammermeysters Jahrrechnung von walburgis fonffzehnhundert vund im zweintzigsten Jarn«, also mit dem Jahresauszug vom 25. Februar 1519 bis zum 25. Februar 1520 oder vom 1. Mai 1519 bis zum 1. Mai 1520. Der heiligen Waldburg oder Walpurgis waren damals zwei Feste zugeordnet [...]. Hans Muller, der die Bücher des Bischofs gewissenhaft führte, hat in der »Rechnung vom Sontag nach Purificacionis marie vff Sontag Reminiscere Anno XX« auf der Ausgabenbseite unter »Pro diuersis« (Verschiedenes) verbucht, dass auf Allerhöchste Anordnung (»Jussit Reverendissimus«) »am Sontag nach Stolastice« dem Philosophen Doctor Faustus 10 Gulden bezahlt worden seien. Das Fest der heiligen Scholastika wurde am 10. Februar gefeiert, 1520 an einem Freitag. Faust erhielt also sein generöses Honorar am 12. Februar 1520. Wie viel wert dieses Honorar tatsächlich war, ist in heutiger Währung auch nicht annäherungsweise auszudrücken. Fest steht, dass der vom bischöflichen Kammermeister vermutlich ausbezahlte Reichs- oder Kaiser- oder Konventionsgulden 11,6935 g Feinsilber und der auch sehr gebräuchliche rheinische Gulden 9,744 g Feinsilber hatte. Wie der Name schon sagt, war der Gulden eine zunächst »goldgüldene« Münze; zur Zeit Fausts war man aber überwiegend zur Silbermünze übergegangen. Um wenigstens einen ungefähren Vergleichswert anzugeben: Der Betrag, den Faust »zuvererung« erhielt, war so hoch, dass er, umgerechnet auf die damaligen Lebenshaltungskosten, bei einiger Mäßigkeit mehrere Monate gut damit auskommen konnte.” [Mahal, S. 120 f.] „»Georgius Faustus helmstet. sagte am 5. Juni: wenn Sonne und Jupiter im gleichen Grad eines Sternzeichen stehen, dann werden Propheten geboren (vielleicht wie seinesgleichen). Er versicherte, dass er Kommendator oder Präzeptor einer kleinen Niederlassung der Johanniter im Grenzgebiet Kärntens sei, namens Hallestein.« (Wettertagebuch des Priors Kilian Leib. In: Karl Schottenloher, »Der Rebdorfer Prior Kilian Leib« [Faks.]. In: Rietzler-Festschrift. Beiträge zur bayrischen Geschichte. Gotha 1913, S. 92 f. Original: München, Bayrische Staatsbibliothek, 4°L. impr. c. n. mss. 73, fol. 257 r .)” [Mahal, S. 122 f.] „Aus der Notiz in Kilian Leibs Wettertagebuch geht nicht eindeutig hervor, ob der Prior den »Propheten« selbst traf oder ob er einen Ausspruch Fausts notierte, den ihm ein Gewährsmann übermittelt hatte. Ist die letzte Möglichkeit zwar nicht auszuschließen, so ist doch eine persönliche Begegnung Leibs mit Faust nach all dem, was wir über die Stellung des Ordensmannes wissen, wahrscheinlicher. Dass sich Faust gerade an Kilian Leib wandte, wäre dadurch erklärbar, dass er von dessen Beschäftigung mit der jüdischen Geheimlehre der Kabbalistik und ebenso von seinem zwiespältigen Verhältnis zur Astrologie wusste. Dazu brauchte Faust nur Leibs Traktate gegen Luther und über den Bauernkrieg aufzuschlagen. Leibs Aussagen über die Sterne schwanken nämlich zwischen handfester Kometenfurcht und einer völligen Leugnung der Macht der Gestirne wie bei Pico della Mirandola. Fand Leib einerseits für das Unglück der Irrlehren Luthers [2] nur die Erklärung in einer verheerenden Planetenkonstellation und begründete er ganz ähnlich den Ausbruch des Bauernkrieges, so war sein Wettertagebuch andererseits ein empirisch geführter Gegenbeweis wider allen Sternenglauben und insbesondere gegen die Wetterprophezeiungen der umherwandernden Astrologen.” [Mahal, S. 130] „[...] Kilian Leib konnte Faust jedenfalls als eine Persönlichkeit erscheinen, die kennen zu lernen sich lohnte, die außer einem Dach überm Kopf und bescheidener Klosterkost die Bereitschaft zu kompetentem Gespräch und Erfahrungsaustausch bot. Umgekehrt erlaubt das geistige Profil des Priors die Annahme, dass er als Empiriker Faust kennen lernen wollte, um ihn [...] durch eigenen Augenschein zu überprüfen. Es hat den Anschein, dass es ihm bei der Begegnung mit Faust — der sich wahrheitswidrig, aber der Situation dienlich als geistlicher Bruder im Herrn ausgab — nicht ganz geheuer war: Wenn nämlich Faust am 17. Juni 1528, knapp zwei Wochen nach Kilian Leibs Tagebucheintrag, als Wahrsager aus Ingolstadt ausgewiesen wurde, dann konnte dies bei den direkten Verbindungen zwischen Rebdorf und Ingolstadt auch auf Anraten Leibs zustande gekommen sein. In der Notiz des Wettertagebuchs könnte sogar ein einzelnes Wort in diese Richtung deuten: Bei einer bestimmten Konstellation würden Propheten geboren, heißt es da, mit dem Zusatz: »utpote sui generis«. Dieses »utpote« könnte man spöttisch verstehen: »Ja, allenfalls Propheten wie seinesgleichen.« Eine solche Interpretation entspräche der von Leib nicht eben konsequent, aber doch häufig praktizierten Skepsis gegenüber astrologischen Sätzen. Es fragt sich aber, ob er eine solche allgemeine »Weisheit« überhaupt notierenswert gefunden hätte. Mehr scheint dafür zu sprechen, dass er Fausts Aussage als dessen »astrologische Geburtsurkunde« auffasste, dass er Fausts Satz wiedergab in einem Sinn, in dem das »utpote« oder »ut puta« [3] nicht mit dem ironisch-abschätzigen »allenfalls« übersetzt werden muss, sondern: Es werden Propheten geboren, »nämlich« solche wie er. Es ist sehr wohl denkbar, dass Faust Leib einen verschlüsselten Hinweis auf seinen Geburtstag geben wollte, vor allem auf die bei seiner Geburt herrschende, das ganze Leben bestimmende Planetenkonstellation.” [Mahal, S. 131 f.] „»Dem warsager soll befolhen werden dass er zu der stat auszieh und seinen pfennig anderswo verzere.« »Am mitwoch nach Viti Anno 1528 ist ainem der sich genant Doctor Jörg Faustus von Haidlberg gesagt dass er seinen pfennig anderswo verzer, und hat angelobt solche erforderung für die obrigkeit nit ze enten noch zu äffen.« (Protokolle der Stadt Ingolstadt. In: Ostermair, »Zur Faust-Sage. Doctor Faust 1528 in Ingolstadt«. In: Oberbayrisches Archiv für vaterländische Geschichte 32, 1872/73, H. 2/3, S. 336. Originale: Ingolstadt, Stadtarchiv, Ratsprotokolle, 1523/94 fol. 70 v und 1527/30 fol. 49 v .) In einer Sondersparte der Ratsprotokolle von 1528, im Register der aus Ingolstadt Ausgewiesenen, findet sich der knappe Eintrag, »Doctor Jörg Faustus von Haidlberg« sei »am mitwoch nach Viti« der Befehl zum Verlassen der Stadt überbracht worden. Am selben »mitwoch nach Viti« war, diesmal ohne Namensnennung des Betroffenen, der Ausweisungsbeschluss in einem anderen Ratsprotokoll festgehalten worden.” [Mahal, S. 135] „Der Mittwoch nach Viti war [...] der 17. Juni. Wie lange sich Faust vor diesem Mittwoch nach dem Vitusfest 1528 in Ingolstadt aufgehalten hat, ist schwer einzugrenzen. [...] Einige Tage oder auch Wochen wird sich Faust gewiss in Ingolstadt aufgehalten haben, bevor der Ratsbeschluss seinem Bleiben ein Ende setzte. Auch damals pflegten die Mühlen der Behörden langsam zu mahlen [...]. [Mahal, S. 136] „Dass Faust mit Vorliebe Orte ansteuerte, die eine Hohe Schule oder auch ein Zentrum des Humanismus aufwiesen, geht aus unseren Quellen eindeutig hervor. Und man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, dass er solche Städte aufsuchte, um dazuzulernen, um die neuesten Richtungskämpfe, die methodischen Kontroversen und die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse in Erfahrung zu bringen. Ebenso wahrscheinlich ist es, dass er mit anerkannten Vertretern jener Disziplinen, für die er sich selbst zuständig hielt, ins Gespräch kommen oder mit anderen wohlbestallten Magistern und Lehrstuhlinhabern in Disput treten wollte. All das konnte dazu dienlich sein, auch aus dem Universitätsbereich oder aus den Kreisen der Humanisten Leute anzulocken, die seinen Darbietungen neugierig folgten — insbesondere die jungen Studenten, die mit etwa fünfzehn Jahren die Universitäten bezogen, meist weltunerfahren waren und noch leichter zu beeindrucken als die wissenschaftlich Altgedienten, unter denen es freilich Abergläubische und Wundersüchtige genug gab. Jedenfalls kam und ging Faust als Wanderer, der für kurze Zeit großes Aufsehen und, wie hier in Ingolstadt, auch Anstoß erregte. Er kam wohl nicht, um an einer Universität sesshaft zu werden und eine Lehrtätigkeit aufzunehmen, wie es vermutet wurde; denn dazu wäre ein akademischer Titel vonnöten gewesen, zumindest der eines Magisters. Ob aber Faust sich Magister oder gar Doktor nennen durfte, ist aufgrund der Quellenlage eher zu bezweifeln. Wenn Faust hier in Ingolstadt als »Doctor von Haidlberg« auftrat [...], verschaffte er sich natürlich in einer Universitätsstadt mehr Reputation; dann konnte er als Kollege gelten, als reisender Akademiker, der vom Neckar kam [...]. Aber die Ingolstädter Ratsherren hatten offenbar gewisse Zweifel, ob sich da nicht ein landfahrend wahrsagender Wolf den akademischen Schafspelz nur zum Schein übergestülpt hatte; denn im Ausweisungsprotokoll ist mit deutlicher Skepsis und Distanz die Rede von »ainem der sich genant Doctor Jörg Faustus«. Man hatte also wohl beträchtliche Zweifel an Fausts universitärem Titelschmuck. Für einen seriösen Mann hielt man Faust bestimmt nicht und ebenso wenig für einen gerngesehenen Gast — dafür war er schon seiner Profession wegen eine zu schillernde Gestalt. Dass er aber vom Rat der Stadt ausgewiesen wurde und nicht vom Senat der Hohen Schule, dem die akademische Gerichtsbarkeit unterstand, auch nicht vom geistlichen Gericht, das die inquisitorischen Verfahren und vornehmlich die Ketzerfälle behandelte, spricht dafür, Fausts Wahrsagertätigkeit in Ingolstadt im nicht-akademischen, kommunalen Rahmen einzuordnen: als eine schließlich mit der Ausweisung geahndete Unternehmung, die zwar an einem Hochschulort stattfand, aber ganz in städtische Zuständigkeit fiel.” [Mahal, S. 138 f.] „Wurde Faust als »Wahrsager« zum Verlassen der Stadt verurteilt, so konnte diese Bezeichnung all jene Praktiken umfassen, deren er sich nach dem Zeugnis des Abtes Trithemius gerühmt hatte [...]; ebenso konnte die Wahr- und Weissagung aus den Sternen darunterfallen und die schon damals vorwiegend unter Zigeunern verbreiteten und von ihnen bis heute praktizierten Wahrsagungsarten aus der Kristallkugel und aus den Handlinien — diese Künste übte Faust nach dem Zeugnis des Wormser Stadtphysikus Philipp Begardi (1539) gleichfalls aus. [...] Faust hatte keine Wahl: Er musste den Schuldspruch und die auferlegte Strafe akzeptieren und Ingolstadt verlassen, nicht ohne zuvor Urfehde zu schwören — dies besagt sein Gelöbnis, das Urteil des Rates »nit ze anten noch zu äffen«. Dieser formelhafte Ausdruck der Urfehden bedeutete den ehrenwörtlich ausgesprochenen Verzicht auf Rache oder Regress, also den Schwur, das verhängte Urteil anzuerkennen, ohne es mit Gewalt gegen Ankläger oder Richter zu »revidieren.« [4] „Heute erinnert an dem Haus Harderstraße Nr. 7 eine [...] angebrachte Gedenktafel an seinen Aufenthalt. Sie hat folgenden Wortlaut: »Dr. Jörg Faustus aus Heidelberg hielt sich 1528 in Ingolstadt auf. So meldet uns das Ingolstädter Ratsprotokoll vom Mittwoch nach Viti 1528. Glaubwürdiger Überlieferung nach hat dieser Dr. Jörg Faustus in diesem Haus gewohnt.«” [Mahal, S. 139] „Das knappste aller zeitgenössischen Zeugnisse über den historischen Faust gibt trotz (oder auch wegen) seiner Schnörkellosigkeit einige Rätsel auf. Nicht so sehr wegen der Bezeichnungen, mit denen der Doktor Faust hier bedacht wird: »Nigromant«, was im strengsten Sinn Teufelsbeschwörer heißt, ist hier mit einiger Wahrscheinlichkeit wie auch in vielen anderen Quellen der Epoche statt »Nekromant« gebraucht, und das bedeutet Totenbeschwörer — andernfalls hätten wir hier die erste und zu Fausts Lebzeiten einzig notierte Stelle vorliegen, die ihn mit dem Teufel in Verbindung brächte. »Sodomit«, was im strengen Wortsinn eine der übelsten Perversionen bedeutet, die Unzucht mit Tieren [...] Solche Prangerformeln waren schnell zur Hand, wenn es darum ging [...], Rufmord zu betreiben.” [Mahal, S. 142] „Was an dem lapidaren Satz aus den »Verlässen des inneren Rates« mehr als der knappe Steckbrief des Doktor Faust irritiert, ist das Fehlen jeglicher Begründung für Fausts Bitte um Geleit. Eine solche Bitte war keinesfalls der Regelfall, wenn man sich 1532 von einer Stadt in eine andere begeben wollte. Vielmehr war diese Rechtshilfe im Mittelalter dafür geschaffen worden, um angesichts der unsicheren Verkehrswege gegen Bezahlung bewaffneten Schutz zu erhalten. Gegen Ende des Mittelalters wies der Geleitbrief — eine Vorform des Reisepasses — aus, dass sein Inhaber berechtigt sei, ungehindert eine bestimmte Route zurückzulegen: Mit dem Geleitbrief kaufte man sich Sicherheit. Eine weitere, rechtsgeschichtlich nicht sehr häufige, aber doch vereinzelt nachgewiesene Bedeutung des »Geleits« war die amtliche Garantie, dass jemand ungehindert und ohne Gefahr einer Festnahme in seine Heimat zurückkehren könne. Daraus entwickelte sich die juristische Bezeichnung »Geleit« für Gerichtsfrieden, Freistatt. Beide Wortbedeutungen — Rechtsschutz oder Gerichtsfrieden — können in Fausts Fall eine Rolle gespielt haben. Faust wollte nach Nürnberg — das muss unstrittig sein, wie immer man auch »Geleit« interpretieren will. Mithin sind all jene Forscher zu korrigieren, die von einem Aufenthalt Fausts in Nürnberg 1532 sprechen.” [Mahal, S. 143] „Die beiden vorausgehenden der insgesamt nur dreizehn Wörter des Ablehnungsbescheides heißen: »zu furr«. Das kann offenbar nur übersetzt werden mit »zu Fürth« — jedenfalls stimmen hierin alle neueren Kommentatoren dieser Stelle überein, und eine andere plausible Erklärung wurde nicht gefunden. Wir müssen also annehmen, dass sich Faust in Fürth aufhielt und dass er von dort aus mit seiner Eingabe an den Rat versuchte, nach Nürnberg zu gelangen — wohlgemerkt mit dem gewöhnlich völlig unnötigen und überflüssigen Geleitbrief.” [Mahal, S. 147] „»Vor kurzem hatte ich eine sehr schlimme Nacht, als der Mond dem Mars in den Fischen gegenüberstand. Dein Freund Faust hat es fertiggebracht, dass ich Gefallen daran finde, diese Dinge mit dir zu besprechen. Er hätte dich allerdings besser etwas aus dieser Disziplin gelehrt, als dass er dich aufgeblasen hätte mit dem Windchen hohlsten Aberglaubens auf dich in Spannung gehalten hätte mit ich weiß nicht was für Blendwerk. Aber was sagt er uns eigentlich? Was also? Ich weiß nämlich, dass du dich über all das sorgfältig erkundigt hast. Wird der Kaiser siegen? Das muss allerdings geschehen.« (In: Joachim Camerarius, Libellus Novus, Epistolas Et Alia Qvaedam Monvmenta Doctorvm superioris et huius aetatis complectens. Lipsiae 1568, Bl. 161b-162a. [Original nicht nachweisbar])” [Mahal, S. 151] „Stibar muss sich als intimer Kenner Fausts ausgegeben haben — nur so ist es verständlich, wenn Camerarius in seinem Brief Faust als tuus charakterisiert: als »dein Faust«, »dein vertrauter Freund Faust«. [5] „Aufs Geratewohl fragte er [Camerarius] bei Stibar sicherlich nicht an; vielmehr wusste er diesen über Faust genau informiert. Faust, so können wir annehmen, hielt sich bei Stibar in Würzburg auf — sein zweiter Aufenthalt in der Bischofsstadt am Main nach jenem Trithemius für das Jahr 1506 berichteten Gastspiel.” [Mahal, S. 163] Aber trotz der Verdammung von Fausts Aberglauben erscheint dieser in der distanzierten Optik des Tübinger Gelehrten als ein Mensch, mit dem seriöse Leute wie Stibar unbefangenen, freundschaftlichen, vielleicht gar intensiven Umgang pflegen können. Ein solches Zugeständnis steht in beträchtlichem Gegensatz zur totalen Disqualifizierung Fausts durch Trithemius, zum Nürnberger Image des Gauklers oder zum Bild des Kneipenschreihalses bei Mutian.” [Mahal, S. 164] „»Es wirt noch eyn namhafftiger dapfferer man erfunden: ich wolt aber doch seinen namen nit genent haben / so wil er auch nit verborgen sein / noch unbekant. Dann er ist vor etlichen jaren vast durch alle landtschafft Fürstenthuomb vnnd Königreich gezogen / seinen namen jederman selbs bekant gemacht / vnd seine grosse kunst / nit alleyn der arznei / sonder auch Chiromancei / Nigramancei / Visionomei / Visiones imm Cristal / vnd dergleichen mehr künst / sich höchlich berümpt. Vnd auch nit alleyn berümntpt, sonder sich auch eynen berümpten vnd erfarnen meyster bekant vnnd geschriben. Hat auch selbs bekant / vnd nit geleugknet / daß er sei / vnnd heyß Faustus, domit sich geschriben Philosophum Philosophorum etc. Wie vil aber mir geklagt haben, daß sie von jm seind betrogen worden, deren ist eyn grosse Zahl gewesen. Nuon seyn verheyssen ware auch groß / wie des Tessali: dergleichen sein rhuom / wie auch des Theophrasti: aber die that / wie ich noch vernimm, vast klein vnd betrüglich erfunden: doch hat er sich imm gelt nemen, oder empfahen (das ich auch recht red) nit gesaumpt / vnd nachmals auch imm abzugk / er hat / wie ich beracht / viel mit den ferßen gesegnet. Aber was soll man nuon darzuthuon, hin ist hin / ich wil es jetzt auch do bei lassen / luog du weiter / was du zuschicken hast.« (Stellungnahme des Wormser Stadtarztes Philipp Begardi. In: Philipp Begardi, Index Sanitatis. Eyn Schöns vnd vast nützlichs Büchlin, genant Zeyger der gesundtheyt. Wormbs 1539, Bl. XVIIa.)” [Mahal, S. 165 f.] Der Haupttitel, den Faust sich nach Begardis Bericht zulegte, hatte mit der Medizin nur sehr entfernt zu tun: Er nannte sich »philosophus philosophorum«, bezeichnete sich also mit einem nicht mehr zu überbietenden Superlativ, wie etwa Nürnberg die »Stadt deutscher Städte« sein wollte oder heute noch die Bibel als das »Buch der Bücher« gilt. Die Stelle über Faust findet sich im vierten Kapitel, das Begardi überschrieb: »Von den bösen ungeschaffenen, untüglichen, trugkhaftigen, unnützen, und auch ungelarten ärtzten usw. und auch, wo bei man sie erkennen mag.« Faust ist also für den Wormser Stadtphysikus das Paradebeispiel eines gefährlichen medizinischen Dilettanten, eines betrügerischen Strolchs, eines vorgeblichen Alleskönners, der sich als Universalgenie anzupreisen und natürlich die Dummen haufenweise auf seinen Leim zu locken versteht. Ob Begardi Faust jemals selbst und aus der Nähe gesehen hat, ist seinem Text nicht zu entnehmen; wahrscheinlich kannte er den Vielgereisten nur vom Hörensagen. Dass ein Mann wie Faust ihm als zweifelhafte Figur erscheinen musste, ist klar. Wenn er seine Kollegen dazu ermahnt, Charakterfestigkeit und äußerste Zurückhaltung an den Tag zu legen, denn kann er nicht anders, als den laut auf die Pauke hauenden und kräftig Eigenwerbung betreibenden Faust zum schlechthin exemplarischen Fall von einem Quacksalber zu stempeln. [...] Wir erinnern uns: Den Titel des Philosophen hatte Trithemius 1507 Faust ausdrücklich versagt, in der Bamberger Kammerrechnung war dieser Titel aber als Fausts alleinige »Berufs«-Bezeichnung aufgetaucht, und auch Philipp von Hutten verwendet später wieder dieses Wort. Hier, bei Begardi, 1538/39, begegnet es uns in seiner höchsten Steigerungsform: Es mag viele Philosophen geben, so ist es zu übersetzen, aber ich bin der größte von allen! Wenn Faust tatsächlich diesen Titel gebrauchte, denn behauptete er nicht weniger, als ein neuer, ein zweiter, ja, ein bedeutenderer Aristoteles zu sein. Denn dem griechischen Denker hatte das ausgehende Mittelalter jenen einmaligen Ehrentitel zuerkannt als Ausdruck der Bewunderung und der Dankbarkeit gegenüber diesem Erzvater der Weisheit. Nach Trithemius soll sich allerdings auch ein Italiener namens Johannes, der um die Jahrhundertwende am Hof des französischen Königs lebte, denselben Titel eines »philosophus philosophorum« zugelegt und erklärt haben, alles menschliche Wissen zu besitzen. Dass Faust mit demselben ungeheuerlichen Titelanspruch auftrat, passte nur zu gut in das übrige Bild.” [Mahal, S. 168 f.] „»Hie habt ihr von allen Gubernationen ein wenig, damit ihr sehet, daß wir hie in Venezola nicht allein bißher unglücklich gewest sein, diese alle obgemelte Armata verdorben seind jinnerhalb 3. Monathe, vor und nach uns zu Sevilla ausgefahren, daß ich bekennen muß, daß es der Philosophus Faustus schier troffen hat, dann wir ein fast bößes Jahr antroffen haben, aber Gott hab Lob ist uns fast unter allen andern am besten gangen.« (In: »Zeitung aus India. Aus seiner, zum Theil unleserlich gewordenen Handschrift«. In: Historisch-litterarisches Magazin. Hrsg. von Johann Georg Meusel. Th. 1. Bayreuth und Leipzig 1785, S. 93 [Original verschollen.])” [Mahal, S. 180] „Wenn Stibar Faust tatsächlich schon 1534 kannte und schätzte, wenn er in diesem Jahr eine Prognostikation für Philipp von Hutten bei Faust in Auftrag gab, dann hat er sicherlich bei seinem Frühjahrsbesuch 1536 in Tübingen Camerarius ausführlich von Faust erzählt und nicht allein brieflich einige Bemerkungen über Fausts astrologische und sonstige Fähigkeiten eingestreut. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat er denn dem Tübinger Professor, der schon zwei Jahre zuvor, noch als Gymnasialrektor in Nürnberg, seine Prognostikation für Philipp von Hutten in lateinische Verse gebracht hatte, auch von Fausts düsterer Vorhersage für ebendenselben berichtet; vielleicht auch davon, mit welchen nichtastrologischen Methoden und Praktiken diese Vorhersage zustande gekommen war. So konnten nämlich sowohl die Tatsache als auch die Art von Fausts Vorhersage in Camerarius unwillige Konkurrenzgefühle erwecken, die er dann in dem uns vertrauten Brief an Stibar vorwurfsvoll abreagierte: ›Astrologie‹, so kann man seine Zeilen deuten, ›das mag ja hingehen, die betreibe ich auch, dagegen ist nichts einzuwenden. Aber alles andere — die Mantiken, das Kristallgucken, die Zwiesprache mit Verstorbenen — geht entschieden zu weit: Das ist schwärzester Aberglaube!‹” [Mahal, S. 181] „Wenn er nun am 16. Januar 1540 seinem Bruder Moritz schrieb, »daß ich bekennen muß, daß es der Philosophus Faustus schier troffen hat, dann wir ein fast böses Jahr antroffen haben«, dann kann sich diese Angabe kaum auf das eben vergangene Jahr beziehen, wie einige Interpreten dieses Textes angenommen haben. Andere vermuteten, es müsse sich um das Jahr nach der Ausfahrt Philipps gehandelt haben, also um den Zeitraum 1534/35: Hutten kam am 6. Februar 1535 in Coro an und machte sich mit Hohermuth am 13. Mai desselben Jahres auf den Marsch nach dem Gold. Aber bei diesem Zug — über den Hutten in mehreren Briefen berichtet — handelte es sich nicht um ein »fast bößes Jahr« [...], sondern um drei Jahre voller Kämpfe, Verluste und selbstverständlich gewordener Grausamkeiten. Das Jahr 1539 und der Zeitraum 1534/35 allein passen demnach nicht so recht zu Fausts Vorhersage oder vielmehr zu dem, was Philipp von Hutten darüber berichtet. Eher schon wird an den ganzen mörderischen Aufenthalt im Landesinneren zu denken sein, an die Jahre 1535 bis 1538, die Philipp in seinen Briefen ausführlich beschrieben hat. Endgültiges ließe sich über diese Stelle mit dem »ziemlich schlimmen Jahr« erst sagen, wenn wir Huttens Brief mit dem Wortlaut von Fausts Prognostikation vergleichen könnten. Es stellt aber gewiss keine pure Spekulation dar, wenn wir annehmen, dass Faust sich nicht auf eine Vorhersage für einen bestimmten kalendarischen Abschnitt eingelassen haben dürfte, sondern, dass er für Philipp von Huttens gesamte Unternehmung Schlimmes prophezeite.” [Mahal, S. 188 f.] „Als Philipp 1546 seinen Traum von Gold und Ehre und Ruhm für das Haus Hutten mit seinem Leben bezahlte, lag Fausts wohl schon 1534 in Augsburg gestellte Prognostikation ein Dutzend Jahre zurück. Faust hatte mit seiner pessimistischen Vorhersage auf grausige Weise recht behalten. Auch er war 1546 schon einige Jahre nicht mehr am Leben. Alle, die von Philipp von Huttens Brief aus Venezuela und von seinem schrecklichen Tod erfuhren, fanden nun Faust als jenen unfehlbaren Propheten bestätigt, als den er sich immer ausgegeben hatte.” [Mahal, S. 191] Fausts Geburtstag und Vornamen „Fausts Rufname war Georg. Das Fest des heiligen Georg wird am 23. April gefeiert. Astrologisch fällt der 23. April ins Tierkreiszeichen des Stieres. »Um 1480« gibt es ein einziges Datum, an dem Sonne und Jupiter im Zeichen des Stieres zusammentreffen: im Jahr 1478. [6] [7] und Johann als Fausts angestammte Vornamen anzusehen. Johannesfeste gibt es im katholischen Heiligenkalender mehrfach, und bis heute gibt es einige sehr beliebte Doppelvornamen mit einem »Hans« am Beginn [...]. Die frühere Beliebtheit der Vornamen-Kombination von Johann mit einem weiteren Vornamen zeigt sich beispielsweise in der Namensgebung von Bach, Herder oder Goethe. Was man erst dem Taufregister entnehmen kann: Auch Mozart und Schiller hießen mit ihren ersten Vornamen Johannes! Außerdem sind Hans, Johann(es) und ihre Koseformen die beliebtesten Vornamen geblieben für Redensarten, Sprichwörter, Lied- und Märchentitel usf. [...] Dass es zu der großen Häufigkeit von Hans und Johannes kam, hängt wohl neben der allgemeinen Verehrung für den Ankündiger Christi vor allem damit zusammen, dass seit dem Ausgang des Mittelalters die meisten Taufkapellen und -altäre dem dafür »zuständigen« Johannes dem Täufer geweiht waren. Insofern lag es nahe, Knaben als alleinigen oder als ersten Vornamen den Namen »Johann(es)« zu geben. Allein drei Männer aus der Reihe der Faust-Zeugen tragen diesen Vornamen: Trithemius, Virdung und Manlius. Um 1500 war dieser Vorname überaus häufig. Daher war es ganz normal, dass ein Johann Georg den Georg zu seinem Rufnamen wählte. Wir können davon ausgehen, dass Melanchthon korrekt berichtete, wenn auch freilich unvollständig: Faust wurde zwar Johann Georg getauft; seinen ersten, allzu häufig vorkommenden Vornamen benutzte er jedoch nicht: Er nannte sich Georg oder Jörg.” [Mahal, S. 239 f.] Fausts Nachnamen „Im Rebdorfer Zeugnis [...] taucht [...] Faust als »Georgius faustus helmstet.« auf — als Georg Faust aus Helmstadt, wie Beutler [Mahal, S. 3] diese Stelle deutete. Nach dieser Auslegung war »Faustus«, der »Glückliche«, ein bloßer Beiname nach dem Grundsatz nomen est omen. Ein Mann namens Georg Helmstetter versprach sich mit diesem Namenssymbol Glück und Wohlergehen. Er war keineswegs »um 1480« geboren worden, sondern etwa 15 Jahre zuvor. Der Schreihals und Lump, von dem Trithemius erzählte, war nach Beutlers Lesart keine 25 Jahre alt, sondern ein Mann um die 40. Dieser plötzlich so auffällige Mann war vorher offenbar niemandem aufgefallen, weil er augenscheinlich erst im Schwabenalter seine aufdringliche Gescheitheit unter die Leute brachte.” [Mahal, S. 222] „Nun endlich kann gesagt werden, was es mit dem »helmstet.« im Zeugnis Kilian Leibs auf sich hat — wobei erneut zu betonen ist, dass auch in diesem Zeugnis der Name »Faustus« vorkommt. Die Bezeichnung »helmstet.« war ein Beiname, der von Faust allein für Rebdorf gewählt wurde, und das mit gutem Grunde. Auch hier in Rebdorf gab Faust seinen richtigen Namen an, aber er tat dies dem Prior gegenüber so, dass dieser ihn nur für einen Beinamen hielt und »helmstet.« für den eigentlichen Namen. In Wirklichkeit war »helmstet.« nichts anderes als ein nom de guerre, um dem geistlichen Herrn Kilian Leib ebenfalls als — zudem noch adeliger — Geistlicher zu erscheinen.” [Mahal, S. 226 f.] „Man hat darauf hingewiesen, der Name Faust tauche erstmals 1565 auf, als des Manlius 1563 lateinisch erschienenes Buch mit der Melanchthon-Aussage über den »Faustus« aus Kundling/Knittlingen ins Deutsche übertragen wurde. Damals erst sei aus dem »Faustus« der Name »Faust« geworden. Mit anderen Worten: Aus dem lateinischen Beinamen »Faustus« = »Der Glückliche« habe sich erst infolge der Eindeutschung der Familienname »Faust« ergeben. Von einem »Faust« zu sprechen, sei also allein das Ergebnis jener Rückübersetzung ins Deutsche. Diese Argumentation ist nichts weniger als tollkühn, weil sie Ursache und Wirkung vertauscht! Wenn ein Mann namens Faust in einer lateinischen Quelle — also etwa bei Trithemius oder Mutianus Rufus oder Kilian Leib oder Camerarius — erwähnt werden sollte, denn war dies nicht anders möglich, als dass ihm die lateinische Endung »-us« angehängt wurde. Aus »Faust« wurde so »Faustus«, wie aus Konrad Muth ein »Mutianus« geworden war, aus Tritheim »Trithemius« oder aus Luther »Lutherus« oder aus Luthers Gegner Eck »Eckius«. Ebenso latinisiert wurden auch die Vornamen: Luther und Melanchthon sind, oft sogar in deutschen Texten, als die Herren Martinus und Philippus erwähnt. Dasselbe geschah mit dem einzigen Vornamen, der in den zeitgenössischen Quellen von Faust genannt wird: Stets heißt er »Georgius«, so bei Trithemius, bei Mutianus Rufus, bei Kilian Leib. Allein die Ingolstädter Quelle kombiniert Deutsch und Latein zu »Dr. Jörg Faustus«. Um es kurz zu machen: Ein Deutscher namens Faust hatte es so leicht wie kaum ein anderer Träger eines deutschen Namens, sich an seinen Namen ein aussagekräftiges »-us« anzuhängen. Diese kleine lateinische Endung zeigte seine humanistischen Ambitionen an und kennzeichnete ihn als einen Mann der Wissenschaft. Außerdem verhalf sie ihm auf die einfachste Art der Welt zu einem sprechenden Namen: Aus dem derb-deutschen »Faust« wurde ohne jeden Aufwand ein »Faustus«, ein »Glücklicher«.” [Mahal, S. 223 f.] „Übrigens hat man in der Faust-Forschung noch eine weitere Herleitung des Namens »Faust(us)« versucht, die vom Geburtsort Knittlingen ausging. Das Stadtwappen zeigt neben dem später hinzugekommenen goldenen Abtsstab des Klosters Maulbronn von jeher zwei gekreuzte schwarze »Knittel« auf silberfarbigem Grund. Knittel oder Knüttel oder Knüppel — literarisch als Knittelverse bekannt gemacht durch Hans Sachs und später von Goethe in seinem Faust verwendet — heißt auf Lateinisch »fustis«. Der Name der Stadt, versinnbildlicht in den zwei Knitteln ihres Wappens, habe Faust seinen Namen, seinen Bei- oder Wahlnamen gegeben — so behaupten mehrere Forscher. Wie auch immer dieser Mann in Wirklichkeit geheißen habe, er benannte sich nach dem Wappenstock seines Heimatortes. Aus dem doppelten Prügel im Stadtemblem, aus dem lateinischen »fustis«, machte er sich den Glück verheißenden Namen »Faustus« zurecht — wiederum also [...] wurde »Faustus« als Kunstname angesehen. Nun, man braucht schon sehr viel Phantasie, um vom Knittel im Stadtwappen über dessen lateinische Rückübersetzung auf die nochmals lateinisch umformulierte Selbstdarstellung eines »glücklichen« Faustus zu kommen... Mag diese Theorie auch für sich haben, dass sie von Knittlingen ausgeht und nicht andere Geburtsorte Fausts in Vorschlag bringt, so ist sie doch als reichlich überanstrengt zu bezeichnen. Faust brauchte keine umwegigen und übergeistreichen Sprachspielereien, um zum »Faustus« zu werden, denn er hatte es mit solcher Umwandlung in einen vielversprechenden Namen nicht nur leicht, sondern er bekam diese Umwandlung geradezu gratis geliefert. [...] In der Literatur über Faust hat sich die Formulierung »infaustus Faustus« — das lateinische Wortspiel bedeutet im Deutschen »der unglückliche Faust« — seit Beginn des 17. Jahrhunderts als eine stehende Wendung eingebürgert. [8] »Echte Spuren oder falsche Fährten« Eine „[...] Faust-Erzählung in Zacharias Hogels Chronik von Thüringen und der Stadt Erfurt [...], die um 1550 notiert wurde und möglicherweise auf einen Auftritt Fausts in Erfurt zurückgeht. Hier wird bei einer Magisterpromotion beklagt, dass viele Komödien des Plautus und des Terenz verlorengegangen seien. D. Faust hörte zu, hub auch an, von beiden Poeten zu reden, erzehlte etliche Sprüche, die in ihren verlohrnen Comoedien stehen solten, und erbot sich, wo es ihm ohn gefahr und den Herrn Theologen nicht zu wieder seyn solte, die verlorne Comoedien alle wieder an dz liecht zu bringen und vorzulegen auf etliche stunden lang, da sie von etlichen vielen studenten oder schreibern geschwinde müsten abgeschrieben werden, wenn man sie haben wolte, und nachfolgends möchte man ihrer nützen, wie man wolte. Die Theologen und Rahtsherren aber ließen ihnen solchen vorschlag nicht gefallen: denn, sagten sie, der Teufel möchte in sollche newerfundene Comoedien allerley ärgerliche sachen mit einschieben, und man könte doch ja auch ohne dieselben aus denen, die noch vorhanden weren, gnug gut Lattein lernen. Dorfte also der Teufelsbanner hierinnen kein meisterstück sehen laßen. [9] „1563 in lateinischer Sprache als Locorum communium collectanea, 1565 dann deutsch als Schöne ordentliche Gattierung... , erscheint ein Werk von Johannes Manlius, in dem über Faust offenbar Mitteilungen Philipp Melanchthons enthalten sind [...]. Wenn auch nicht mehr zu klären ist, wie getreu der als nicht gerade immer zuverlässig geltende Manlius die Äußerungen seines akademischen Lehrers in Wittenberg wiedergegeben hat, so scheinen doch den Aufzeichnungen des Manlius vorwiegend authentische Aussagen des theologischen Kopfes der deutschen Reformation zugrunde zu liegen. [...] Entscheidend ist, dass der Anfang der Textpassage eindeutig auf Melanchthon als Sprecher verweist, der im fünf Kilometer von Knittlingen (»Kundling«) entfernten Bretten geboren war [...] Die Manlius/Melanchthon-Stelle lautet im Zusammenhang: Ich habe einen gekennt / mit namen Faust von Kundling / (ist ein kleines Stättlein / nicht weit von meinem Vatterland) derselbige da er zuo Crockaw in die schuol gieng / da hatte er die zauberey gelernt / wie man sie dann vor zeiten an dem orth sehr gebraucht / auch offentlich solche kunst geleeret hat. [...] Derselbige Faust ist zuo Wittenberg entrunnen / als der fromme und löbliche Fürst Hertzog Johannes hette befelch gethon / daß man jhn fragen solte. Deßgleichen ist er zuo Nürnberg auch entrunnen / als er ubers Mittagmal saß / ist jm heiß worden / und ist von stundan auffgestanden / und hat den Würt bezalt was er jme schuldig war / und ist darvon gangen. Und als er kaum ist fürs thor kommen / waren die Stattknecht kommen / und hatten nach jm gefragt. Derselbige Faust der zauberer / und ungehurig thier / und stinckend heimlich gemach des Teuffels / rühmete unverschempt / daß alle siege / die Keiserliche Maiestet kriegßvolck im Welschenlande gehabt hetten / die waren durch jn mit seiner zauberey zuowegen gebracht worden. Das ist eine erstunckene lüge und nicht war. [...] [10] Den Eingangsbemerkungen über Fausts Geburtsort Authentizität abzusprechen, wäre sicherlich schon deshalb töricht, weil der Ansbacher Manlius den Ortsnamen »Kundling« (Knittlingen) niemals gekannt hätte, wäre er nicht tatsächlich vom Brettener Melanchthon erwähnt worden. Zumindest diese Angabe — Faust ist in Knittlingen geboren — muss also als zuverlässige Wiedergabe einer Aussage des Reformators gelten. Fraglich bleibt nur, ob die Bekanntschaft Melanchthons mit Faust durch persönliches Zusammentreffen zustande kam oder ob Faust dem Melanchthon lediglich seinem Ruf nach bekannt war.” [Mahal, S. 210 ff.] „Das Zeugnis von Manlius/Melanchthon stellt sich als ein Text dar, der für die Zeit der Legendenbildung um Faust zwischen 1540 und 1587 als typisch bezeichnet werden kann: Biographisches erscheint allenfalls spurenhaft, vermengt mit anekdotischem Material; das phantastische Element überwiegt und verlangt nach weiterer Anhäufung unglaublicher Geschichten. In dieser Phase der Legendenbildung wird Fausts biographische Person — soweit sie überhaupt noch erinnerlich ist — zusehends blasser und unwichtiger. Und vermutlich ist die Reduzierung Fausts auf einen mit Assoziationen behängten Namen erst die Voraussetzung dafür, dass diesem historisch so miserabel belegten Magier sich so viele umherfliegende Anekdotenspäne magnetisch zuordnen konnten — mit dem Ergebnis einer auf diesen einen Man konzentrierten Allesfresserei an wunderbaren, dreisten, entdeckungssüchtigen, erotischen, gastronomischen, theologischen und rachsüchtigen Erzählungen.” [Mahal, S. 216] „Es ist [...] durchaus möglich, dass Faust [...] einmal in Venedig war: Wenn er sich beim Rebdorfer Prior Kilian Leib 1528 als Johanniterkomtur von »hallestein« — Heilenstein — einführte, dann erwähnte er damit einen Ort, der in der Nähe von Cilli lag, und dieses Cilli lag nur wenig abseits der normalen Reiseroute nach Venedig, wie sie der zeitgenössische Kartograph Erhard Etzlaub beschrieben und gezeichnet hat.” [Mahal, S. 213 f.] „Fausts Tod in Staufen um 1540 brachte keine einzige zeitgenössische Chronistenfeder in Bewegung. Der mit drastischen Details zur grausigen Sensation stilisierte Tod bei Manlius/Melanchthon aber schenkte jenem Faust das Leben, der ein gutes Jahrzehnt später erstmals aus Buchdeckeln hervortreten und eine beispiellose weltliterarische Karriere beginnen sollte.” [Mahal, S. 217] „[...] dem Rektor a. D. Karl Weisert gelang schon vor dem Zweiten Weltkrieg beim Stöbern nach alten ortsgeschichtlichen Akten ein Fund, [...] ein Kaufbrief aus dem Jahr 1542: Es ging um ein Haus, das den Besitzer wechseln sollte, und zwar handelte es sich beim Käufer um die schon vor 1480 bestehende Knittlinger Lateinschule, die neue und größere Räume brauchte. Dem ersten Anschein nach entdeckte Karl Weisert eine unscheinbare privatrechtliche Quelle: ein Papier, das die Veräußerung eines Hauses betraf, mehr nicht. Und doch mehr! Denn in dieser Quelle tauchte ein kurzer Nebensatz auf, der für uns von höchstem Interesse ist. Der Text des Kaufbriefes lautet (im Auszug): ... Frühmeßhaus und Hofraytin samt Keller vnd übrig zugehord, alles an vnd beyeinand rechter hand vf dem berg neben der Cappel, eynseit des Jörgen Gerlachen seelig behausung, allwo Fausten born, auch neben der Wagenhüttin vnd beym kleinen gestaffelten Wandelgäßlen... zu eynem vffrechten, steten, vesten vnd ewigen Kaufs verkauft... [11] [...] Der Betrachter stand vor dem Alten Rathaus der Stadt, das nach den Zerstörungen des 17. Jahrhunderts an selber Stelle erweitert wiederaufgebaut, nach dem Zweiten Weltkrieg für die Amtsgeschäfte zu eng, vermietet und einige Jahre gewerblich genutzt wurde. Heute ist in diesem Alten Rathaus Knittlingens das Faust-Museum und Faust-Archiv untergebracht. [...] Auch das im Jahr 1542 seinen Besitzer wechselnde Haus hat die mehrmaligen Zerstörungen Knittlingens nicht überdauert. Erhalten blieben lediglich die Grundmauern, auf denen seit dem 18. Jahrhundert ein neues Haus steht. [12] Bildung, Titel und Berufungen Fausts
„Vielleicht hat Faust auch durch Andeutungen, durch bewusste Zweideutigkeiten, durch elliptisch abgebrochene Sätze, durch verbale Gratwanderungen zwischen »Weiß« und »Schwarz« das Bild des teuflisch liierten Magiers selbst mitgeformt. Vielleicht hat er selbst an einer Legende gebastelt, die möglicherweise schon zu seinen Lebzeiten, ganz gewiss aber und leicht kontrollierbar nach seinem Tod, Eigenbewegung und gierige Magnetwirkung erhalten sollte — jene Legende, in der aus dem Aufsehen erregenden Teufelskerl sozusagen nahtlos ein Teufelsbündler wurde, einer, dem man alles und jedes zutraute, ein mit magischen Künsten und Tricks virtuos operierender Tausendsassa. Faust wurde zu dem Magier, zum Magier schlechthin — und er wurde dazu wohl schon vor 1540, als ein zielstrebiger Organisator seines Nachruhms, als ein Mann, der seine eigene Biographie so darzustellen wusste, dass sie die ausschmückenden Memoirenschreiber als ein Stoff reizte, der gleichsam auf der Straße lag und auf dessen Zusammenfassung zwischen Buchdeckeln die Leute bereits warteten.” [Mahal, S. 309] „Dass der Mann, der in der Literatur stets »Doktor Faust« genannt werden sollte, jemals ein Studium auch nur begonnen hat, ist aus den Quellen nicht zu belegen.” [Mahal, S. 45] „In Reuchlins Pforzheim war Faust in drei Wegstunden, und zu den Zisterzienser-Mönchen im fünf Kilometer von Knittlingen entfernten Maulbronn brauchte es nicht mehr als einen Spaziergang. An beiden Plätzen konnte Faust mehr erfahren als nur die Schlagzeilen des Weltgeschehens.” [Mahal, S. 47] „Den »Doktor Faust« gab es nicht aufgrund eines Universitätsdiploms mit Wappen und Siegel; ihn gab es vielmehr im Bewusstsein der Zeitgenossen, zumindest der so genannten kleinen Leute. Wenn die Historia von D. Johann Fausten diesen Doktortitel bereits auf dem Umschlagblatt nannte, dann vollzog sie lediglich nach, was längst Usus geworden war. Dass die Historia zu Fausts Doktortitel auch noch das entsprechende reguläre Universitätsstudium dazuerfinden musste, war eine folgerichtige Ergänzung innerhalb einer Erzählung, in der einer umso tiefer fiel, je höher er anfangs gestanden hatte: Aus dem »Doctor theologiae« von 1587 wurde am Schluss der grässlich verstümmelte Teufelsbraten — für den Leser eine drastische Warnung, Ähnliches zu beginnen, und gleichzeitig eine vom Autor gewollte oder ungewollte Entlastung, weil hier ein gelehrter fiel, einer jener Gelehrten, die man vordem für gefeit angesehen haben mochte, sich an den Bösen zu verlieren.” [Mahal, S. 248] „Der Psychologe Faust: er schuf die Voraussetzungen für seinen eminenten Erfolg bei Lebzeiten und für seinen überbordenden Ruhm nach seinem Tod. Dass dieser Faust ebenso in Wirtshäusern auftrat wie an einem fürstbischöflichen Hof, dass er zwischen Gelnhausen und Würzburg seine provozierenden Zugaben nach dem Normalprogramm einmal mit Klassisch-Humanistischem und dann mit Christlich-Theologischem bestritt, dass er in Rebdorf in die Kutte eines Johanniter-Komturs schlüpfte und zwölf Tage später in Ingolstadt in den Gelehrtenrock eines Heidelberger Doktors, dass er von Fürth aus beim Nürnberger Rat vorsichtig um eine Besuchserlaubnis anklopfte, dass er beim Rühren der eigenen Werbetrommel nicht eben zaghaft zu Werke ging, dass er dennoch den feinsinnigen Erasmus-Freund Daniel Stibar zum Freunde gewann — all das spricht dafür, dass er seine Handlungen und Auftritte in wohldosierter Variabilität zu planen und zu inszenieren wusste.” [Mahal, S. 267] „Wenn sich Faust, laut Trithemius, als »Fürsten der Nekromanten« und als »Quellbrunn der Nekromantie« bezeichnete, denn wollte er damit nicht zum Ausdruck bringen, dass er sich besonders gut auf die Befragung heraufbeschworener Toter verstand — vielmehr, dass er in all den Künsten erfahrener als alle anderen war, die sich mit verbotenen Künsten befassten. Wenn sich Faust als Nekromant bezeichnete, denn wollte er ganz bewusst als Teufelskerl gelten, als ein vor nichts zurückschreckender Geselle, dem sein ewiges Seelenheil keinen Pfifferling wert war. Damit wollte er seinen potentiellen Kunden plakativ anzeigen, dass sie bei ihm am besten bedient würden, dass er in allen magisch-mantischen Sätteln gerecht und in jeder kirchenfernen Absonderlichkeit bewandert sei.” [Mahal, S. 286 f.] „[...] ein Engagement als Goldmacher hat man auch für seinen Aufenthalt in Staufen vermutet, weil dort kurz vor 1540 das ortsansässige Grafengeschlecht verarmt war und dringend einer finanziellen Spritze bedurfte. Faust, so folgerte man aus seinem mit teuflischem Rot garnierten Todesreport in der Zimmerischen Chronik, könnte beim Experimentieren durch eine Explosion in seiner »Alchemistenküche« ums Leben gekommen sein.” [Mahal, S. 300 f.] „Was war nun Faust für ein Alchemist? Gehörte er zu jenen, die mit der »Mutter« Schwefel und mit dem »Vater« Quecksilber in der so genannten Alchemistenküche hantierten? Oder war er einer von jenen, die für klingende Münze einen brodelnden, dampfenden, zischenden Zauber veranstalteten, garniert mit ein paar Brocken Kneipenlatein, mit »Licht-Spielen« und beizenden Rüchlein, womöglich an verbotenem Ort? Oder gehörte er schließlich zur verborgenen und verschwiegenen Gruppe der wahren Alchemisten, die das »solve et coagula«, das Lösen und Binden der Metalle auch an sich selbst exerzierten? Die vorhandenen Zeugnisse lassen keinen eindeutigen Schluss zu. Wer in diesen Jahrzehnten mit der Alchemie sein Geschäft machen wollte, der konnte es tun. Faust hätte nur mitzumischen brauchen. Gehörte er aber zu den ernsthaften Vertretern dieser Kunst; prahlte er nur auf den Märkten mit ihrer Schau- und Geldseite, um im geheimen sich ums metallische und ums innere Gold zu bemühen; glaubte er tatsächlich, dem Abt Entenfuß und den verarmten Grafen von Staufen helfen und sich selbst gleichzeitig zur höchsten Läuterungsstufe bringen zu können — denn könnten sich auf diese Weise die vielen durch Zeugnisse unbelegten Dunkeljahre seiner Biographie mit Sinn füllen lassen. Denn könnte Faust etwa in den »weißen Jahren« zwischen 1513 und 1520, 1520 und 1528, 1528 und 1532, 1536 und seinem Tod um 1540 irgendwo zurückgezogen experimentiert, könnte somit ein schweres und langwieriges Geschäft betrieben haben, das ihn selbst voran brachte, das seine Geldkatze aber nicht füllte. Weil er mit solchen Geschäften nicht überleben konnte, musste er sich zwischendurch verdingen und auf den Märkten den Schreihals spielen. Freilich sind das Mutmaßungen, die aber einen gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad für sich haben und eine Erklärung dafür liefern, weshalb es um den stets so laut auftretenden Mann sein Leben lang so still war. Faust als ernsthafter Alchemist — dies ist eine Vorstellung, an die sich zu gewöhnen äußerst schwerfällt, weil eben das Bild des historischen Faust durch das übermächtig wirkende Zeugnis des Trithemius auf Jahrhunderte hin nicht präformiert, sondern endgültig festgelegt wurde. Faust als Man einsamer Meditation und asketischer Selbstläuterung — dies passt natürlich nicht zu dem mit priesterlichem Zorn fixierten Image des lästerlichen Windhunds, des Sittenstrolchs und des jedes seriöse Ohr beleidigenden Maulhelden.” [Mahal, S. 305 f.] „Nicht durch die Zahl, sondern durch die Art seiner Berufe war Faust auffällig. Hätte eine Passbehörde dieser Epoche unter der Rubrik »Beruf« nur eine einzige Angabe gestattet, so wären viele Zeitgenossen Fausts in arge Verlegenheit geraten. Der Altphilologe Melanchthon etwa schrieb theologische Traktate und Katechismen, betätigte sich als Organisator des höheren Schulwesens und hielt Vorlesungen über Astrologie. Dichter konnten über Syphilis schreiben (Ulrich von Hutten), Ärzte eine Weltchronik zusammenstellen (Hartman Schedel), Mathematiker eine neue Sintflut prophezeien (Johannes Stöffler), Juristen über die jüdische Kabbala Vorträge halten (Johannes Reuchlin, Agrippa von Nettesheim), Maler die Technik revolutionieren wollen und der anatomischen Medizin wie der Ballistik auf die Beine helfen (Leonardo da Vinci), Äbte sich als Wetterforscher betätigen (Kilian Leib) — die Berufsausbildung und das Examensfach war eine Sache, die Ausübung weiterer und oft gleichzeitig vieler Berufe eine andere. Nicht dass Faust an ganz entfernten Punkten des deutschen und vielleicht auch außerdeutschen Raumes auftauchte, unterschied ihn von seinen Zeitgenossen, ebenso wenig die vielen Professionen. Was ihn in einem Ensemble von schillernden Figuren zu einem Außenseiter machte, nahm Trithemius sehr wohl wahr, bog es aber gleich ins Negative ab: Faust hatte sich über den Fundus »normaler« Zauberei und Gaukelei, über seine reichhaltige Berufspalette hinaus als ein intelligenter Kopf bekannt gemacht und einen Erfahrungsschatz und eine Kunstfertigkeit erworben, die ihn zur Führung mehrerer Titel berechtigte und ihn als Rivalen erscheinen ließ. Dass er außerdem von Zeitgenossen als Spezialist anerkannt wurde, belegen die Nativität beim Bischof von Bamberg (1520) und die Anfrage des Joachim Camerarius bei Daniel Stibar (1536). Was hier Faust als Astrologe an Kompetenz bestätigt wird, legt es nahe, auch die anderen mit lauter Reklame angekündigten Fertigkeiten nicht vorschnell als Geschwätz abzutun.” [Mahal, S. 314 f.] Fausts Tod „Seit einigen Generationen zeigt man in dieser [...] Stadt [Mahal, Staufen] im dritten Stock des Gasthauses »Zum Löwen« die Nummer 5 als das Sterbezimmer Fausts. Dieses Gasthaus, dessen straßenseitige Giebelwand heute ein an Fausts Tod erinnerndes Gemälde und eine Inschrift schmücken und das seit der Jahrhundertwende einen altdeutsch ausgestatteten Nebenraum als »Faust-Stube« präsentiert, existiert bereits seit 1407. Es ist eine der ältesten in Deutschland nachgewiesenen Herbergen. Ob die Lokalisierung von Fausts Tod im Staufener »Löwen« über das 19. Jahrhundert hinausreicht, lässt sich zwar nicht mehr feststellen; dass sie sich aber hier konkretisierte, dafür könnte die Manlius-Stelle sehr wohl der Anlass gewesen sein. Denn dort war von einem Wirtshaus als Sterbestätte Fausts die Rede, einem Wirtshaus, das zwar »im Wirtemberger land« stehen sollte, das aber bei einiger geographischer Unkenntnis oder sprachlicher Großzügigkeit doch auch im badischen Staufen angesiedelt werden konnte. Das einzige alte Wirtshaus in Staufen war eben der »Löwen«. Sichere Zeugnisse aber fehlen, gar solche, die bis zum Zimmer 5 im dritten Stock dieses Gasthauses reichen würden. Faust starb in Staufen; in welchem Haus, in welchem Zimmer, das ist ungewiss. Wann er starb, bleibt ebenso weithin im Dunkeln. [...] ein Abschnitt der Zimmerischen Chronik [hatte] mit den Worten begonnen [...]: Es ist umb die zeit der Faustus zu oder doch nit weit von Staufen, dem stetlin im Breisgew gestorben. »Umb die zeit« — was damit gemeint ist, erhellt der vorhergehende Abschnitt der Chronik, der mit den Worten beginnt: Das ich aber widerumb vom reichstag zu Regenspurg sag... Der Reichstag von Regensburg wurde im Beisein des Kaisers Karl V. am 5. April 1541 eröffnet. [...] »Umb die zeit« starb Faust. Man hat in der Faust- Forschung gut daran getan, angesichts dieser Quellenlage allzu eindeutige Daten zu vermeiden. »Umb die zeit«: Das konnte 1541 heißen oder auch 1540; und vielleicht ließ die unscharfe Angabe auch zu, 1539 als Fausts Sterbejahr anzunehmen. Dass er, um 1540, in Staufen starb, darf als sicher gelten.” [Mahal, S. 329 f.] „Hier also, im kleinen Staufen, als Alchimist eines kleinen Landadeligen, hat dieser ewig Gejagte, dieser hochbegabte unglückliche Mann sein Leben beschlossen. 62 Jahre voller Träume, voll edler Absichten, voll erstaunlicher Leistungen, voller Unzulänglichkeiten, Fehler und Enttäuschungen. Er hat Großes gewollt und Großes erreicht, war ein offenbar bedeutender Arzt, ein klar denkender Naturforscher, hat ganz gewiss in der Astrologie, wohl aber auch in anderen Fächern Neues entdeckt und ausgebaut. Dass er dennoch zerbrach, ist nicht nur Schuld seiner verblendeten Zeit, das ist ebenso die Schuld seines heftigen, unbesonnenen Wesens, seines Vergnügens am Lauten, Derben, am Wein. Er war beides, Faust und Mephisto in einem, ein echter Sohn seiner wilden, zerrissenen Zeit: ein Kind der Renaissance. Er ist der wahrhaftige Bruder eines Ulrich von Hutten, eines Paracelsus — und doch um einiges tragischer: All seine Gedanken, seine Entdeckungen, sein Wissen, seine Erkenntnisse, die ganze Summe seines Lebens wurde ausgelöscht, verbrannt, verwischt. Niemals werden wir wissen, wer er wirklich war, was er dachte und wollte. Und wenn es auch gelingt, aus den wenigen erhaltenen Fakten sein äußeres Leben in etwa nachzuzeichnen — er wird dennoch für immer dunkel und ein Fremder bleiben, dieser Johann Georg Faust.“ [Maus, S. 275 f.] „Ohne den als gewaltsam wahrgenommenen und sogleich diabolisch gedeuteten Tod Fausts, dies muss festgehalten werden, hätte es weder Faust-Legenden noch Faust-Literatur gegeben.“ [Mahal, Halbgott, Anmerkung 15] „Hier einige Bewusstheit am Werke zu sehen, sollte dem nicht schwer fallen, der für Fausts stupendes Ende in Staufen im Breisgau den Modus eines gedächtnishaftenden Events nicht ausschließen möchte. Hätte es sich gar um Suizid gehandelt, läge das Ostentative [Absichstsvolle] einer spektakulär zerfetzten Leiche auf der Hand — und mithin eine Art des Freitods, die sich ins legendäre und literarische Gedächtnis wahrlich einzubrennen geeignet war. Angesichts der miserablen Quellenlage kann es freilich über Mutmaßungen nicht hinauskommen, versucht man, das Maß an Zielgerichtetheit späteren oder gar immerdauernden Nachruhm durch ein behagliches Blendmanöver zu bestimmen. Die Unfall-Theorie einer unvorhergesehenen Explosion beim alchemistischen Experimentieren hat sich eingebürgert; mangels kontemporaner [kontemporär = zeitgenössisch] Quellen ist diese These nicht wahrscheinlicher als ein Suizid aus Überdruss, der Faust in die Nähe des griechischen Brandstifters Herostratos rückte, welcher 365 v. Chr. durch die Zerstörung des Tempels der Artemis in Ephesus, eines der sieben antiken Weltwunder, tatsächlich anhaltenden Negativ-Ruhm erreichte. Ist man bereit, diese Möglichkeit garantiert virulenter Aufmerksamkeit (ganz zu schweigen vom Legendenbildungs-Anstoß) einzuräumen, dann hätte — hat vielleicht — der historische Faust seine spätere literarische Halbgott-Karriere erfolgreich initiiert. Die angeberische Präpotenz eines dann doch nicht bloß als windiger Scharlatan zu Deklassierenden hätte in der Dichtung ihre Einbettung in die anthropologische Grundsituation von Gut und Böse gefunden, um den Preis ewiger Seligkeit. Doch was bedeutete diese böse Quittung, verglichen mit einem — selbst negativen — Dauerplatz im literarischen Pantheon, auf Bildern, in Figuren und Kompositionen...“ [Mahal, Halbgott, S. 9 f.] „Die Geschichte von der Mücke, die sich zum Elefanten bläht, liefert das Modell für die Legende von Fausts Teufelsverbindung, aus der durch akkumulierte Erzählungen und Einzelheiten am Ende — noch vor 1587 — der regelrechte Teufelspakt wird. Seit es die Historia, seit es den literarischen Faust gibt, ist vom historischen Faust nichts mehr zu erkennen. Nun gibt es — für die literarische Tradition auf immer — den handfest konditionierten Pakt, und damit die Universalerklärung satanischer Omnipotenz. Der historische Faust wird dabei zur Nebensache, und an seine Stelle tritt das Teufelspaktmotiv, das weit mehr als die im Titel genannte Zentralgestalt für viele hunderte von Autoren seit 1587 zum Anlass wurde, Variationen über dieses eine Thema zu schreiben. Ohne die Legendenbildung und ihre Festschreibung im vierundzwanzigjährigen Pakt hätte von Faust schon zu Ende des 16. Jahrhunderts niemand mehr gesprochen. Dass Faust legendär und dann literarisch weiterlebte, verdankte er — so merkwürdig dies angesichts der historischen Gestalt auch klingen mag — kirchlichem Eifer. Dass aber auch die Kirche ihrerseits Faust viel verdankte, fiel ihr von jeher schwer einzugestehen.” [Mahal, S. 345] „Am Ende bleiben Fragezeichen, Fragezeichen um einen Mann, der eine beispiellose weltliterarische und allgemein künstlerische Karriere gemacht hat, dessen historisches Profil aber nur schemenhaft erkennbar wird; ein Mann, der sich in seiner Zeit laut und auffällig gab, es aber gleichzeitig verstand, hinter der berühmten Fassade ein Unbekannter zu bleiben.” *Mahal, Günther: Faust — Die Spuren eines geheimnisvollen Lebens / Günther Mahal. — Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch. Die Buchausgabe erschien 1980 im Scherz Verlag, Bern und München, Verlag, 1995. 392 S. ISBN 3 499 13713 5 **Ders.: Halbgott Faust. Provokation und Selbstverständlichkeit (1507 — 1980) / Günther Mahal — Tübingen: Attempto Verlag, 2006. 157 S. ISBN 978-3-89308-391-6 ***Conradt, Marcus; Huby, Felix: Die Geschichte von Doktor Faust. / Marcus Conradt ; Felix Huby — München : Verlag Steinhausen, 1980. 304 S. ISBN 3-14-11681-6 ****Lenau, Nikolaus: Faust. Ein Gedicht / Nikolaus Lenau. — Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart, bibliographisch ergänzte Ausgabe 1997. 213 S. Reclams Universal-Bibliothek Nr. 1524 ISBN 978-3-15-001524-7 *****Theater der Jahrhunderte: Theater der Jahrhunderte — Faust (1. Band) / Albert Langen — Georg Müller Verlag, München und Wien, 1970. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Margret Dietrich, 376 S. ******Maus, Hansjörg: Faust — Eine deutsche Legende / Hansjörg Maus. — Wien und München, Meyster Verlag GmbH, 1980. 396 S. ISBN 3 7057 6001 7 [1] Von einer Identität beider »Visitenkarten« ging die bisherige Forschung stets aus, wohl zu Unrecht. [2] Beutler, Ernst: »Georg Faust aus Helmstadt«. In: Goethe-Kalender auf das Jahr 1936. Leipzig 1936, S. 174 [3] In der Forschung wurde bislang stets »utpote« transskribiert. Auf die wahrscheinlichere Lesart »ut puta« machte mich [G. Mahal] freundlicherweise Herr Prof. Dr. Matthias Schramm, Tübingen, aufmerksam. [4] Das Wort »äffen« innerhalb dieser gängigen Bekräftigungsformel geht auf mhd. »avern, ävern, äfern« zurück: laut Lexers Mittelhochdeutschen Wörterbuchs »eine Sache gehässig wieder vorbringen, tadeln, rächen«. [5] Das »tuus« ist in den Humanistenkreisen die beliebteste Briefunterschrift, die herzliche Verbundenheit ausdrückt. — Besonders viele Beispiele enthält der Libellus novus, Leipzig 1568, in dem Camerarius eine Sammlung von Freundesbriefen zusammenstellte. [6] Die zeitnächsten Zusammentreffen finden 1466 und 1490 statt. [7] vergl. Mahal, G.: Fausts Geburtstag. Eine Hypothese. Knittlingen 1979. [Bibliophiler Privatdruck in 175 Ex.] [8] Zum ersten Mal taucht dieses Wortspiel 1587 auf, also im Jahr der Historia, bei Samuel Meigerius. Zitat bei Tille, Alexander: Die Faustsplitter in der Literatur des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts nach den ältesten Quellen. Berlin 1900, S. 72. [9] Zitiert nach Tille, Alexander: Die Faustsplitter in der Literatur des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts nach den ältesten Quellen. Berlin 1900, S. 50. [10] Johannes Manlius, Locorvm Commvnivm. Der Erste Theil. Schöne ordentliche gattirung allerley alten vnd newen exempel..., Fankfurt 1565, S. 46 f. [11] Das Original wurde Ende des Zweiten Weltkriegs vernichtet; es existiert jedoch eine Bleistiftabschrift, deren Korrektheit am 3. März 1934 vom damaligen Knittlinger Bürgermeister Lener beglaubigt wurde. [12] Über zwei sonderbare Gegenstände, die in diesem Haus im 19. und 20. Jahrhundert entdeckt wurden — ein sechseckiger, kunstvoll gearbeiteter Wandschrank mit den Elementenzeichen sowie den Zeichen für Quecksilber und das Paracelsische »Salz« und mit der Aufschrift »ELOHIM.« einerseits; ein kleines Stück Pergament mit großteils unverständlichen Reihen aus Buchstaben und Kreuzen, aber auch mit der seit frühchristlicher Zeit nachgewiesenen SATOR-AREPO-Formel -, berichte ich [G. Mahal] in meinem Buch:Faust. Der Mann aus Knittlingen. Dokumente, Erläuterungen, Informationen. Knittlingen 1980.
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