Faust auf dem Theater und in der Musik


Faust auf dem Theater

Ohne Zweifel haben die ersten sogenannten Volksbücher einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Popularisierung der Geschichten von Fausts Pakt, Leben und Höllenfahrt geleistet. Ebenso zweifellos aber hat erst die Bühne den Faust-Stoff breitflächig bekannt gemacht, vor allem auch unter jenen, die nicht lesen konnten. Christopher Marlowes Name ist hier an erster Stelle zu nennen, jener bedeutendste Vorläufer Shakespeares, der seine Tragödie wohl aufgrund einer englischen Übersetzung des deutschen Volksbuches schrieb. (Ein lateinisches Faust-Drama von Marlowe wurde zwar wiederholt angenommen, nie aber belegt; und über eine frühere deutsche Fassung des Faust-Spiels gibt es nur Vermutungen, unklare Hinweise oder nationalistisch gefärbte Behauptungen.) Marlowes Drama – oder vielmehr ein Stück, das ursprünglich Marlowes Handschrift getragen hatte – brachten die Englischen Komödianten aufs europäische Festland mit. Seit 1608 sind das ganze 17. (und 18.) Jahrhundert hindurch Aufführungen nachweisbar. Ohne diese meist schrillen Darstellungen, so registrierte der erste Doktorand des Faust-Stoffes – Johann Georg Neumann 1683 – zu Recht, wäre Faust wohl längst in Vergessenheit geraten, bevor die Aufklärer seine Existenz ganz bestritten und bevor sein infernalisch endender Lebensweg nur noch von den Marionettenbühnen auf den Dörfern vorgeführt wurde als das kuriose Exempel eines überkandidelten Gelehrten, der am Schluss unbeweint auf der Strecke blieb, während der lustig-bodenständige Kasper die Stellung hielt. – Lessing war im 18. Jahrhundert der erste, der den nur noch für Kinder und Ammen tauglich scheinenden Faust-Stoff für die Kunstbühne zurückgewinnen wollte; doch er scheiterte am Automatismus jenes Stoffes, in dem die Höllenfahrt von jeher durch übermäßigen Wissenstrieb motiviert worden war. – Die Stürmer und Dränger, und unter ihnen der junge Goethe, sahen in Faust wieder eine wahlverwandte Gestalt, einen autonomen, sich selbst seine Grenzen gebenden und alle fremden Hindernisse einreißenden Kerl, ein Genie. Die Bühnengeschichte des goetheschen Faust beginnt 1819 mit der Privataufführung des Ersten Teils; beide zusammen werden erst in den 70-er Jahren des 19. Jahrhunderts gewagt. Die Tendenz zum repräsentativen Weihespiel, zur Zelebrierung eines Klassikers, zeigt sich schon früh. Damalige wie auch noch heutige Inszenierungen stehen oder setzen sich von vornherein in Konkurrenz oder in bewussten Kontrast zu den jeweils gängigen Interpretationen der Philologen oder der Kritiker, sofern diese nicht jegliche gültige Umsetzung auf der Bühne ausschließen wollen. (Goethes) Faust auf dem Theater – dieses Thema gehört in das stets kontrovers diskutierte Kapitel der Klassiker-Aneignung, ein Kapitel, das emotionsfrei zu diskutieren offenbar unmöglich erscheint. Unbestritten müsste sein, dass das Interesse für Goethes Faust heute mehr vom Theater motiviert wird als durch Kommentare der Fachleute der Literaturwissenschaften.“ [Faust-Museum Knittlingen, S. 163]

Die Inszenierung des Faust durch Gustav Gründgens am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, die am 21. April 1957 Premiere hatte, darf unter die bedeutendsten Aufführungen dieses Werkes gerechnet werden – gewiss die berühmteste wurde sie durch die spätere Verfilmung.“ [Faust-Museum Knittlingen, S. 165]

Die Bedeutung von Luigi Malipiero [1901 - 1975] für die praktische Umsetzung der literarischen Faust-Tradition ist kaum zu überschätzen: Er war bisher der erste und der einzige, der das Wagnis unternahm, auf einer kleinen Bühne die wichtigsten und sogar einige niemals inszenierte Versionen darzubieten, so etwa den versepischen Faust Lenaus und das für unspielbar gehaltene Lesedrama Friedrich Theodor Visches, Faust III. Teil. Malipiero war bei seinen Faust-Zyklen gleichzeitig Redaktor, Regisseur, Bühnenbildner und Schauspieler.“ [Faust-Museum Knittlingen, S. 165 f.]


Faust in der Musik

Am Anfang der musikalischen Faust-Tradition stehen die beiden Meisterlieder Friedrich Beers und die englische Ballade, die 1589 veröffentlicht wurde und möglicherweise Christopher Marlowe (gemeinsam mit der englischen Übersetzung des Volksbuches) als Anregung seiner Dramatisierung diente. Musik-Elemente nicht immer genau bekannter, aber sicherlich umfangreicher Art halfen die Volksschauspiele der Englischen Wanderkomödianten konstituieren: Englisch verstanden die Leute in Graz oder Dresden nicht, aber die Sprache der Noten war international. Wohl schon im 17. Jahrhundert kamen die ersten Erzähllieder von Faust auf, strophisch einzelne Lebensabschnitte Fausts vorführende moritatenähnliche Lieder mit einfachen Grundmelodien, darauf zugeschnitten, nachgesungen zu werden wie die Arien der Volksschauspiele, die zuweilen sogar auf den Theaterzetteln abgedruckt wurden. Auch im Puppenspiel wird mit musikalischen Einlagen operiert, und besonders vertraut sind auch heute jedermann die Lieder des Nachtwächter-Kasper, dem am Ende des Marionettenspiels Lust und Luft zum Singen nicht vergehen, während sein Herr, Faust, unter dem Geheul der Teufel den Weg zur Hölle antreten muss. Dass in der speziellen Tradition des Wiener Singspiels mit seinen zahlreichen Faust-Versionen vokale und orchestrale Partien musikalischer Art wichtig werden, liegt auf der Hand. Wenig bekannt ist dagegen, dass Goethe in Teplitz mit Beethoven den Plan einer gemeinsamen Faust-Oper erwog; bei anderen Gelegenheiten meinte Goethe, Mozart oder Rossini hätten seinen Faust instrumentieren müssen. Nach Goethes Tod machten sich andere Komponisten an die Arbeit, und vor allem die Opern von Charles Gounod, Hektor Berlioz und Arrigo Boito konnten große Erfolge auf den Bühnen verzeichnen. Hinzu kamen Liedvertonungen und symphonische Arbeiten. Es muss hier genügen, einige Namen aufzuführen: Franz Schubert, Robert Schumann, Ludwig van Beethoven, Franz Liszt, Louis Spohr, Albert Lortzing, Carl Löwe, Johann Strauß, Friedrich Smetana, Richard Wagner, Ferruccio Busoni, Hermann Reuter.

Genau wie die bildenden Künstler und die Bühnenbildner, die Regisseure und die Schauspieler, die Schüler und die Studenten, die Literaturwissenschaftler und die Kulturphilosophen hat der Faust Goethes auch die Kompoisten weit mehr als jedes andere Werk der Faust-Literatur beschäftigt, angeregt, zur Instrumentierung oder Vertonung gereizt. Die Opern von Charles Gounod, Hector Berlioz und Arrigo Boito sind dafür nur die bekanntesten Groß-Beispiele, die durch Werke kleineren Umfangs wie Franz Liszts Faust-Symphonie oder durch die Chorus-Mysticus-Vertonungen von Robert Schumann und Gustav Mahler ebenso ergänzt werden müssen wie durch die zahlreichen Versionen der Lieder: Beispielsweise wurde Ach neige mindestens 28 mal, Meine Ruh ist hin 30 mal, Mephistos Floh-Lied 25 mal, das Lied vom König Thule etwa 60 mal bearbeitet. – Dass sein Faust eine Affinität zur Musik habe, sprach Goethe wiederholt aus. [Faust-Museum Knittlingen, S.169]





Faust-Museum Knittlingen:
Faust-Museum Knittlingen. Exponate, Materialien, Kommentare. / Zusammengestellt von Günther Mahal unter Mitarbeit von Brigitte Bruns und Ottmar Maier – Stuttgart : Verlag Paul Daxer, 1980.
ISBN 3-922815-00-6




 

 

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