Lieder und Gedichte


Faustgedichte und -Lieder gibt es seit dem späten 16. Jahrhundert. Am Anfang dieser Spezialtradition stehen zwei mit bekannten Melodien unterlegte Texte des Nürnberger Meistersingers Friedrich Beer und eine englische Ballade von Pakt, Abenteuern und Höllenfahrt Fausts, die als gerechtes Urteil des Himmels über den verbohrten Sünder und damit zur Warnung besungen wird. Ob die deutschen und böhmischen Faust-Lieder bereits im späten 17. Jahrhundert gesungen wurden, ist ungewiss; sie schildern mit einiger Ausführlichkeit das gescheiterte Leben des vermessenen Gelehrten, und sie nähern sich im Tonfall und in ihrer Stationen- und Bildchenhaftigkeit den Moritaten an: erzählt wird der Fall eines Monstrums, einer negativen Sensation – ein grausiges Exempel, das Abscheu erregen soll. Im katholisch-österreichischen Raum entstandene Varianten des Faust-Liedes lassen, im Gegensatz zur bisher einheitlich verdammenden Tradition, eine Rettungsmöglichkeit in den Blick kommen, indem Faust die schwere Schuld seines Treibens bewusst wird und er aus dem Pakt zu entkommen versucht – etwa dadurch, dass er Mephistopheles die Aufgabe stellt, Christus am Kreuz zu malen und mit der Inschrift I.N.R.I. als auch seinen Herrn anzuerkennen. Doch der Teufel weiß sich mit der aus dem höllischen Fundus geholten schönen Helena oder durch andere Tricks dieser Zwangslage zu entwinden, und auch der Faust des Liedes muss deshalb zur Hölle fahren. Im Umkreis und in der Nachfolge Goethes wird Faust in Gedichten und Liedern häufig zur symbolisch oder auch ideologisch befrachteten Symbolfigur, zum renommierten Kürzel für Identifikationsmuster, die bald ins Gigantomane oder ins Nationalistische geraten: das, was die verheerend vereinfachende Pauschalvokabel des Faustischen an Assoziationen birgt und weckt, wird nun auch lyrisch ein- und umgesetzt. Gedichte des 20. Jahrhunderts erweisen sich hier als problembewusster, als skeptischer, oft auch als ironischer – bis hin zur satirischen Destruktion allzu eindeutig scheinender Interpretamente. – In lyrischer Form sind die meisten Parodien auf berühmte Faust-Werke verfasst, aus ihnen einzelne jedermann geläufige Passagen herauspickend und auf einen neuen Zweck hin zurechtmodelnd: der Studierzimmer-Monolog aus Goethes Faust hat für parodierende Gedichte aller nur denkbaren Berufszweige herhalten müssen, und der Chorus mysticus war etwa für Friedrich Theodor Vischer und für Friedrich Nietzsche Ausgangsmaterial kritischer Distanznahme.“ [Faust-Museum Knittlingen, S. 77]


Faust-Museum Knittlingen:
Faust-Museum Knittlingen. Exponate, Materialien, Kommentare. / Zusammengestellt von Günther Mahal unter Mitarbeit von Brigitte Bruns und Ottmar Maier – Stuttgart : Verlag Paul Daxer, 1980.
ISBN 3-922815-00-6




 

 

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