Marlowes Faust-Tragödie


Christopher Marlowe (1564 Canterbury – 1593 Deptford) gilt als bedeutendster englischer Dramatiker vor Shakespeare. Seine Tragische Historie von Dr. Faustus ist die erste bekannte dramatische Version des Faust-Stoffs. Früher entstandene deutsche oder lateinische Faust-Dramen sind immer wieder vermutet worden, aber ein solcher Text wurde nicht einmal bruchstückhaft aufgefunden. Strittig ist, wann Marlowe seine Faust-Tragödie schrieb: Die Angaben schwanken zwischen 1588, dem Folgejahr der Historia von D. Johann Fausten, und 1593, dem Jahr also, in dem Marlowe eines gewaltsamen Todes starb. Ebenso uneinig sind sich die Fachleute darüber, was Marlowe zur Quelle und als anregende Vorlage diente: die englische Faust-Ballade (1589), die englische Übersetzung der Historia (wohl bereits 1588/89), der deutsche Originaltext der Historia (1587) – oder eine Kombination dieser Möglichkeiten. – Marlowes dramatische Fassung des Faust-Buches ist trotz einiger – englischer Theatertradition entsprechender – Clown-Partien ein Werk, das Faust erstmals als ernstzunehmende Figur schildert, als einen Renaissence-Menschen, der sich außerhalb der zeitgebundenen Normalität bewegen und die herkömmlichen Grenzen durchbrechen will, auch auf das Risiko hin, darüber zu Grunde zu gehen und eine Beute des Teufels zu werden. Marlowe erhebt nicht mehr wie die Historia hämisch den Zeigefinger, sondern er stellt die Hybris Fausts als eine Grenzmöglichkeit menschlicher Selbstverwirklichung dar, deren Scheitern programmiert und deshalb tragisch zu nennen ist. – Die tragische Historie Christopher Marlowes kam spätestens 1608 (Graz) durch die Englischen Wanderschauspieler aufs europäische Festland. Für den deutschsprachigen Bereich wurde damit der Theater-Faust erstmals bekanntgemacht. Erben der Volksschauspiele vom Dr. Faust waren die Puppenspiele, die den Stoff bis in die Goethe-Zeit transportierten. Goethe etwa kannte also Marlowe bereits vor dessen erster Übertragung ins Deutsche (1818) – freilich in einer Fassung, in der das Tragische zurückgedrängt war und stattdessen komödiantische und spektakuläre Szenen dominierten.

Im Prinzip Hoffnung (Taschenbuchausgabe Bd. 3, S. 1189) schreibt Ernst Bloch: ,Bereits Marlowes Faust von 1604, obwohl der Höllenschlund ihn ebenfalls erwartet, erscheint nicht als Sünder, sondern als eine Art von vertracktem Märtyrer. Als Märtyrer seiner geistigen Unmäßigkeit, seiner Verleugnung Gottes, seines Willens zum Unerreichbaren; kurz der Conquistadore in Faust fand Verständnis.'“ [Faust-Museum Knittlingen, S. 81]


Faust-Museum Knittlingen:
Faust-Museum Knittlingen. Exponate, Materialien, Kommentare. / Zusammengestellt von Günther Mahal unter Mitarbeit von Brigitte Bruns und Ottmar Maier – Stuttgart : Verlag Paul Daxer, 1980.
ISBN 3-922815-00-6





 

 

▲oben

________________________________________________________________________________________________________________
© Die Autoren.
Kontakt-E-Mail
Impressum