Das „Faust-Museum Knittlingen“


„Vor mir das anheimelnde, mit roten Geranien geschmückte Fachwerkhäuschen, das im dringenden Verdacht steht, das Geburtshaus des Supermagiers zu sein, eines Mannes, der so schemenhaft in der Geschichte geistert, dass er in der Fantasie der Nachwelt alles Mögliche werden konnte: Jahrmarktschreier, Gaukler und Stubengelehrter, Quacksalber, Scharlatan mit dem Hals in der Schlinge, Alleskönner im Okkulten, Nekromant, Chiromant, akademischer Doktor, Astrologe, Goldmacher, Beutelschneider, Fürstenberater und hochbezahlter Fachmann, Abenteurer und Illusionskünstler, immer unterwegs von einem Bluff zum nächsten, besessener Erkenntnissucher, Inkarnation menschlichen Strebens nach Wissen und Naturbeherrschung, ideologische Blut-und-Boden-Erbauungsfigur des Deutschtums zweier Weltkriege, Held, Drecksack, Buhmann der Kirche, den verdientermaßen der Teufel holte, nicht ohne ihm den Hals um 180 Grad zu verdrehen und sein Frevlerhirn an einer Wirtshauswand zu verspritzen. Wen der Teufel holt, der ist gründlich aus der Welt. [...] Hinter mir, im ehrwürdigen Alten Rathaus, das Museum des Schattenmannes, der sich seiner wissenschaftlichen Verhaftung, der erkennungsdienstlichen Behandlung durch Historiker und Germanisten so erfolgreich entzogen hat." [Ortsvermessung, S. 38 f.]
img_118„In den 21 Abteilungen des Museums ist mit Gelehrtenfleiß alles zusammengetragen und didaktisch vorgestellt, was mit dem Magier irgendwie in Verbindung steht. Mit wissenschaftlicher Akribie ist das in Jahrhunderten üppig gewucherte Fleisch aus Legende und Literatur von den historischen Knöchelchen seziert." [Ortsvermessung, S. 39]
„Einer, der ausgezogen ist, das Gruseln zu lernen, kommt im Faust-Museum nicht auf seine Kosten, wohl aber derjenige, der Voraussetzung und Bereitschaft mitbringt, sich auf eine Kopf- und Fantasiewanderung einzulassen." [Ortsvermessung, S. 40]
„Ungefähr um das Jahr 1565 wurde — ganz im Geiste des teufelsgläubigen Erklärungszwanges allem Außerordentlichen und ‚Anomalen‘ gegenüber — in die Chronik der Grafen von Zimmern eingetragen, Faust sei ‚in der herrschaft Staufen im Preisgew in grossem alter vom bösen gaist umgebracht worden‘, ‚nach vilen und wunderbarlichen sachen, die er bei seinem leben geiebt, darvon auch ain besonderer tractat wer zu machen.‘ Wahrhaftig ein prophetisches Wort — und gleichzeitig ein allzu bescheidenes: denn nicht ein Buch oder hundert oder tausend Bücher und Bilder und Kompositionen befassten sich mit Faust, mit dem Mann aus Knittlingen, vielmehr eine weit höhere Zahl. Nimmt man die Zahl der wissenschaftlichen Arbeiten, der Zeitungsaufsätze, der Übersetzungen und aller übrigen publizierten Faust-Beschäftigungen hinzu, dann ergibt sich die stolze Summe von über 20000 Titeln, die den ‚Doktor‘ Faust zum Gegenstand oder doch zum Ahnherrn, zum Namensgeber und Traditionsbegründer haben.“ [Der Mann aus Knittlingen, S. 32]
„Um die Erforschung des längst unübersehbar gewordenen Faust-Stoffes an einem Platz zu konzentrieren, vor allem aber, um ein genaueres Bild der historischen und oft gerade von angeblichen Goethe-Kennern arg geschmähten Faust-Figur zu erarbeiten,um also das verzerrte Andenken des historischen Faust wieder ins Lot einer möglichst objektiven Betrachtung und Wertung zu bringen, wurde 1967 am Geburtsort des historischen Faust, in Knittlingen, die Internationale Faust-Gesellschaft gegründet. Bereits einige Jahre zuvor, 1954, war hier eine Faust-Gedenkstätte eingerichtet worden. [...] Auf engstem Raum, der durch weitere angekaufte oder gespendete Stücke im Laufe der Zeit immer noch enger wurde, waren hier exemplarische Dokumente der Faust-Tradition zu sehen, allerdings ohne beschriftende Erschließung.“ [Der Mann aus Knittlingen, S. 29]
img_119„Damals wurde in zwei Räumen des Neuen Rathauses eine kleine, bald zu kleine museale Einrichtung geschaffen, deren Exponate vornehmlich aus einer Privatsammlung stammten.
Karl Theens hatte der Presse entnommen, in Knittlingen werde ein kleines Faust-Museum eingerichtet. Als Sammler war er interessiert zu sehen, was hier vorhanden sein sollte. Vorhanden war indessen sehr wenig; aber die Idee eines Faust-Museums half Theens dann doch realisieren: er gab einen kleineren Teil seiner Sammlung nach Knittlingen und er half die ‚Gedenkstätte‘ aufzubauen. Das erste Knittlinger Faust-Museum verdankt demnach seine Entstehung einer Zeitungs-‚Ente‘, die dann freilich auf den richtigen Frühstückstisch kam ...
Auf nur 30 m2 drängten sich 26 Jahre lang die Vitrinen und die Besucher; die freilich unvollständigen Gästebücher weisen eine hohe fünfstellige Besucherzahle aus aller Herren Länder aus, die nach Bedarf und zu jeder Tageszeit, auch an Wochenenden, vom pensionierten Knittlinger Volksschulrektor Karl Weisert geführt wurden. Karl Weisert, der auch das Knittlinger Heimatbuch verfasst hat, erwarb sich durch seine unentgeltlichen Führungen hohe Verdienste; er hat Einzelbesuchern, Gruppen oder Schulklassen vor allem die legendäre Faust-Figur lebendig werden lassen, den Faust der eulenspiegelhaften und schlitzohrigen Anekdoten, den weinseligen Freund des Maulbronner Abtes Johann Entenfuß. Er hat auch die stadtgeschichtlichen Aspekte Knittlingens betont und bei ungezählten Besuchern mit Witz und vitaler Erzählfreude das Interesse an der Faust-Figur zu wecken verstanden.“ [Faust-Museum Knittlingen, S. 5]
„Zusammen mit der Stadt Knittlingen, ihrem [damaligen] für Faust [...] stets aufgeschlossenen Gemeinderat und ihrem [damaligen] Bürgermeister Otto Kübler [...] hat sich die Faust-Gesellschaft [...] Gedanken gemacht, wie das Problem eines neuen und wesentlich größeren Faust-Museums zu lösen sei [...].
img_120Aus heutiger Perspektive erscheint es als sehr glücklich, dass alle früher einmal für einen Umzug in Aussicht genommenen Baulichkeiten schließlich doch nicht bezogen wurden,“ [Der Mann aus Knittlingen, S. 29] „bis 1977 dank der Möglichkeiten des Zukunftsinvestitionsprogramms und dank der Aussicht, das Alte Rathaus zur Verfügung zu bekommen, endgültig der Platz festgelegt werden konnte [...]. Die architektonische Leitung wurde Hans Schiffer übertragen, der seine Planungen in Zusammenarbeit mit Vertretern der Faust-Gesellschaft vornahm.
Mit Erfolg wurde versucht, möglichst viel von der alten Bausubstanz zu erhalten und dennoch Räume zu schaffen, die der neuen Funktionsbestimmung des Hauses gerecht werden konnten. Die Vielzahl der Fenster erwies sich als günstig für eine gleichmäßige Tageslichtstreuung, als schwierig für die Nutzung der durch diese Fenster dezimierten Wandflächen.
Die im Dachgeschoss untergebrachten Archivräume wurden im November 1979 bezogen. An die Einrichtung des Museums konnte allerdings erst gegangen werden, als ein halbes Jahr später die ersten der über 100 Tisch- und Wandvitrinen eintrafen. In der Zwischenzeit waren die ungefähr 5000 Nummern umfassenden Bestände zu sichten und zu katalogisieren — eine Arbeit, die am Nullpunkt anzusetzen hatte und deshalb äußerst mühevoll war.“ [Faust-Museum Knittlingen, S. 5]
img_121„Das Faust-Museum zeigt auf drei Etagen und ca. 300 m2 [zudem etwa 200 m2 Wandfläche] [eine Vielzahl seiner] Exponate: Bücher, Autographen, Karten, Bilder, Partituren, Spielpuppen, Kuriosa u. a. m. Im Faust-Archiv steht dem Interessierten eine Arbeitsbibliothek von [einer weiteren Vielzahl an] Titeln zur Verfügung; Phono-, Video- und Diathek ergänzen die schriftlichen Materialien; das Archiv ist mit einem wiss. Leiter und einem Diplom-Bibliothekar besetzt. Neben dem Erwerben und Auswerten aller erreich- und finanzierbaren Faustiana bereitet das Faust-Archiv Sonderausstellungen (anlässlich von Jubiläen oder zu besonderen Aspekten) vor.“ [Westermann, S. 14]
„Das neue Knittlinger Faust-Museum und Faust-Archiv, das im September 1980 feierlich der Öffentlichkeit vorgestellt und für Besucher wie Benutzer zugänglich [wurde], soll ganz in der Nähe von Fausts Geburtshaus einen umfassenden, klar gegliederten und intensiv informierenden Überblick über das Leben des historischen Faust, über sein anekdotenreiches und durch viele Vorgänger und Vorbilder überformtes Dasein in der Legende, über die literarischen, künstlerischen und musikalischen Fassungen des Faust-Stoffs und über einige weitere Bereiche mehr bieten. [Einiges] kommt [...] zur Ausstellung — der Rest wird im Archiv verwahrt, katalogisiert, ausgewertet und für Forschungen und Publikationen auch auswärtiger Wissenschaftler bereitgestellt. Ganz abgesehen davon aber, dass [...] die Knittlinger Bestände keineswegs als abgeschlossen zu betrachten, sondern auf Zuwachs und allmähliche Vervollständigung angelegt sind, besteht die Einzigartigkeit des Knittlinger Instituts Faust-Museum und Faust-Archiv darin, dass am Geburtsort Fausts — dieser in ihrer kulturellen Fern- und Breitenwirkung wohl ganz einmaligen Gestalt — ein allein der Faust-Thematik reserviertes, ganzjährig geöffnetes und fachwissenschaftlich betreutes Haus den Besuchern und Forschern zur Verfügung steht, eine Lehrsammlung, die ständig zu nutzen ist und die alle Facetten der Faust-Tradition möglichst gleichmäßig zu berücksichtigen versucht; dass an diesem Knittlinger Institut dem historischen Faust ganz besondere Aufmerksamkeit [gilt], versteht sich von selbst; ebenso selbstverständlich sollte es sein, dass dem goetheschen Faust zwar großes, aber nicht übertriebenes Interesse zukommt. [...]
img_122Im [...] Knittlinger Faust-Museum [bekommt] der interessierte Besucher ein Lernangebot zum Thema Faust präsentiert [...], das er in dieser Konzentration und Vielfalt nirgendwo sonst wird vorfinden können; dies soll vor allem Schülern und Studenten zugutekommen. Und der Wissenschaftler, der hier einige Tage konzentrierter Forschung verbringt, wird einen bald nach allen bibliothekarischen und archivalischen Gesichtspunkten erschlossenen Bestand antreffen, der wesentlich größer und durch seine Originalausgaben alter Bücher und Grafiken wertvoller ist, als ihn jede Instituts- oder Universal-Bibliothek der Bundesrepublik vorweisen kann. [...]
So viel zum Faust-Thema wie das Knittlinger Museum kann [...] kein anderes Haus gleichzeitig und ständig präsentieren, und deshalb darf dieses [...] Institut als einmalig in seiner Art bezeichnet werden.
Die hier in Knittlingen nicht von vornherein gegebene Haupt- oder gar Alleinausrichtung auf den Faust Goethes bringt außerdem noch den zusätzlichen Vorteil, dass auch die sogenannten kleineren Faust-Dichter, die Faust-Komponisten und Faust-Künstler zu ihrem vollen Recht und zu einer eigenständigen Würdigung kommen. Die hier gewählte Perspektive umfasst die gesamte Strecke von Fausts Geburt bis zu seinen tausend Leben auch noch in unseren Tagen. Gewiss, Goethes in mehrfacher Hinsicht exzeptioneller Faust soll keinesfalls in seiner Bedeutung herabgemindert und nur als eine Schau-‚Nummer‘ unter vielen anderen eingeordnet werden. Aber das Prinzip, zunächst zu informieren und ganz zuletzt erst ‚Heiligenverehrung‘ zu betreiben, gilt für Goethe ebenso wie für alle anderen Autoren und auch für den historischen, den Knittlinger Faust.
Dieser hätte es sich bei seinen Lebzeiten gewiss nicht träumen lassen, dass einmal gleich bei seinem Geburtshaus ein Museum und ein Archiv seinen Namen tragen und seinen Kunst gewordenen Nachruhm in Ehren halten würde.
img_123Nach allem, was wir von diesem historischen Faust wissen, war er kein Mann der Phrasen und des Weihrauchs, vielmehr nüchtern, knitz und bauernschlau-gerissen; einer, der stets auf der Hut sein musste, in einer Zeit, die jeden aus der Normalität Herausragenden schnell zu ‚kassieren‘ geneigt war. — Es wäre deshalb und es wäre überhaupt töricht, den historischen Faust zum Lokalheiligen hinaufzustilisieren, zu einem fleckenlosen Vorbild und zu einer Idealgestalt hoch oben auf einem Podest. Ihm aber jene Gerechtigkeit zu verschaffen, die ihm durch den verleumderischen Steckbrief des Abtes Trithemius bis heute immer wieder vorenthalten wurde — dies darf sicherlich als ein legitimes Ziel des [...] Faust-Museums gelten.
Ebenso ist es einer der vornehmsten Zwecke dieses Museums und der vorbereitenden wie auch begleitenden Arbeit im Archiv, die gesicherten Nachrichten über den historischen Faust von jenen Geschichten zu sondern, die einen legendären Zauberer der Anekdoten vorführen, eine mit vielen fremden Magier-Federn geschmückte Gestalt, die mit dem biografischen Faust nur den Namen gemeinsam hat. Gewiss, jene Geschichten, die man Faust zuschob, die man ihm unterschob, die man ihm anhängte — mit dem Ergebnis, dass sie auf immer mit seinem Namen verbunden bleiben —, sie mögen und sie müssen geradezu sehr viel spannender sein als die wenigen und dürren historischen Nachrichten über den Mann aus Knittlingen, die ja nicht als dichterische Kabinettstückchen niedergeschrieben wurden. Beides zu zeigen, die verbürgten Zeugnisse einerseits und die fabulierenden Anhängsel und Aufschwellungen andererseits, ist gleichermaßen ein berechtigtes Ziel des [...] Faust-Museums — vor allem aber ist zu zeigen, dass das eine nicht mit dem anderen verwechselt oder vermengt werden sollte. Allerdings sagt sich das theoretisch um vieles leichter und schneller, als es bei der Bewertung mancher Texte des 16. Jahrhunderts in der Praxis dann durchzuführen ist ...
Für den historischen Faust wie für all das, was auf dem Papier, auf der Leinwand, in Tönen oder in sonstigen Materialien und Medien aus Faust wurde, gilt im [...] Museum das Prinzip, die Quellen selbst sprechen zu lassen — also anstatt fertiger Meinungen oder gängiger Vorurteile die Texte, Bilder und Noten vorzulegen, aufgrund und mit Hilfe derer sich jeder Besucher ein Bild, sein Bild machen kann. Besonders bei den älteren Quellen und Dokumenten wird es nötig sein, einige Erläuterungen hinzuzufügen; aber auch hier soll der Gefahr ausgewichen werden, auf dem Weg des Kommentars bestimmte Ansichten in vorfabrizierte Kanäle zu bringen. Über die literarischen, künstlerischen und musikalischen Geschicke Fausts haben sich die Gelehrten in den letzten [fast 200] Jahren in einem Maße hergemacht, dass jeder Nichtfachmann meinen mag, resignieren und sich für unzuständig erklären zu müssen. Hier kann die Lehrschau des [...] Faust-Museums vielleicht das abbauen helfen, was man heute oft und recht anschaulich mit dem Begriff der ‚Schwellenangst‘ bezeichnet.“ [Der Mann aus Knittlingen, S. 29 ff.]
img_124„Der Normalverbraucher der Statistik wird meist nur Goethes Faust kennen (egal, ob vom Hörensagen, aus dem Schulunterricht oder durch Theaterbesuche); ihm kann [die] Sammlung beispielsweise zeigen, wie viele Faust-Fassungen allein zu der Zeit veröffentlicht wurden, in der Goethe an seinem Faust arbeitete. Würde Goethes Faust zum Maßstab dafür gemacht, was zu zeigen ‚würdig‘ sei, dann hätte sich das Faust-Museum einen Großteil seiner Vitrinen sparen können. Andererseits wäre es naiv, anzunehmen, dass ein Werk wie Goethes Faust aus dem Nichts geschaffen worden sein könnte: es ist ohne die vorhergehende Tradition und ohne die gleichzeitige Konkurrenz nicht oder doch zumindest nicht so denkbar. Und die Fassungen nach (oder eher: oft gegen) Goethe sind allein schon deshalb von Belang, weil sich an ihnen höchst unterschiedlich verfolgen lässt, wie die Autoren des Problem einer Ilias post Homerum — eines Faust nach Goethe — zu lösen unternahmen.
Goethe verdankt der Faust-Tradition sehr viel, wenn auch der Hinweis auf diese Tradition Goethes besondere Leistung keineswegs zu erklären vermag; und die Faust-Tradition seit Anfang des 19. Jahrhunderts verdankte Goethes Faust sehr viel, wenn auch die meisten Autoren einer direkten Auseinandersetzung mit Goethes problematischer Lösung seiner Tragödie eher auswichen.
[...]
img_125Dass am Geburtsort des historischen Faust die spärlichen Dokumente seines Lebenswegs so vollständig wie möglich gezeigt und eingehend erläutert werden sollen, kann nicht verwundern. Es wäre ein Missverständnis, nur Lokalpatriotismus und Kirchturmsverliebtheit zu vermuten, wenn die Zeugnisse zum historischen Faust so präsentiert werden, dass die bisherige Einschätzung dieser Gestalt korrekturbedürftig erscheint. Hat man nämlich bisher immer wieder die Perspektive dieser Zeugnisse unbefragt übernommen, so sollte nun endlich quellenkritisch ihr Aussagewert und somit ihr Gehalt an Objektivität untersucht werden: die Männer, die über den historischen Faust schlechte (und böse) Zensuren austeilten, schrieben keineswegs als neutrale Berichterstatter. Sie schrieben vielmehr als Partei, also mit Tendenz, von einem festgeprägten Selbstverständnis aus, welches das gerechte Verständnis des Fremden, des ganz Anderen nicht erlaubte. Ihre vorgeblichen Berichte sind in Wirklichkeit Kommentare. Man musste sie mithin ‚gegen den Strich‘ lesen, um ihren Wahrheitsgehalt zu eruieren [zu ermitteln] und um auf diesem Umweg die tatsächliche Physiognomie des historischen Faust entschlüsseln zu können.
[...]
Weit entfernt, den ‚Sünder‘ Faust zum ‚Heiligen‘ zu stilisieren, soll der Besucher anhand der Quellen selbst zu eigener Urteilsbildung kommen: ihr Wortlaut und seine behutsame Kommentierung sollen darauf aufmerksam machen, dass die Zeitgenossen Fausts keineswegs als unbefangen-objektive Berichterstatter ihre Notizen machten, sondern parteiisch und mit bestimmten Absichten. Erkennt man dies, weiß man um die Tendenz dieser Urteile oder vielmehr Aburteilungen, dann erscheint der historische Faust in einem neuen Licht: als eine Figur, jedenfalls in der aufsehenerregenden Faszination, der auch die Verfasser der sogenannten Volksbücher erlagen, und wenn sie noch so sehr ihren theologischen und moralischen Abscheu vor dem angeblichen Teufelsbündler zu thematisieren verstanden.“ [Faust-Museum Knittlingen, S. 7 f.]
img_126„Museum wie Archiv [sind] in 21 Abteilungen gegliedert [...], die nach historischen und/oder systematischen Gesichtspunkten die riesige Stofffülle in sinnvolle Stationen und Bezugsfelder strukturieren.
Es sind dies:
1 Der historische Faust
2 Der Faust der Legende
3 Überblick über die künstlerische Faust-Tradition
4 Bildliche Darstellungen Fausts (‚Porträts‘)
5 Die ‚Volksbücher‘
6 Höllenzwänge
7 Lieder und Gedichte
8 Christopher Marlowes Tragicall History
9 Volksschauspiele
10 Puppenspiel
11 Faust im 17. und 18. Jahrhundert
12 Goethes Faust
13 Faust in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
14 Heines Tanzpoem / Faust im Ballett und in der Pantomime
15 Faust in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts / Parodien
16 Faust im 20. Jahrhundert
17 Faust auf dem Theater
18 Faust in der Musik
19 Faust in den modernen Medien
20 Faust-Analogien
21 Faust-Kuriosa“
[Der Mann aus Knittlingen, S. 30]
„Jeder der 21 Abteilungen ist ein Grundtext vorgeordnet, der die wichtigsten Informationen bündelt. 16 didaktische Wandtafeln verschaffen während des Durchgangs den weiteren verstehensnotwendigen Überblick. [...] Es handelt sich vornehmlich um ein Literaturmuseum; dies schließt die ‚Sensationen‘ technisch und naturkundlich ausgerichteter Häuser aus, ebenso die Eignung für bestimmte Altersstufen — sofern nicht Lehrer oder Begleitpersonen gründliche Vorarbeit geleistet haben. Wer eine Gruppe in dieses Haus bringt, tut gut daran, sich vorher selbst intensiv zu informieren und am besten anhand des Katalogs vorzubereiten. Der vollständige Exponate-Katalog wie auch eine Reihe weiterer Schriften sind beim Pförtner zu erwerben; auch ein Versand ist möglich.“ [Darstellung der zwei Abteilungen, S. 4]
„Eine riesige Fülle künstlerischer und gelehrter Produktionen steht also zu Gebote, im Knittlinger Faust-Museum vorgezeigt zu werden. Die Qual der Auswahl ist schwer. Als ganz sicher aber darf gelten, dass diesem Museum nie 

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der Stoff ausgehen wird. Und sicher ist weiter, dass für Faust, für die historische Figur wie für seine Stofftradition, auch in Zukunft eine Menge zu tun bleibt: eine gewaltige Arbeit, aber auch eine sehr schöne Arbeit, die an Faszination gewinnt, je mehr man all das anschaut und studiert und schätzen lernt, was zu diesem einen Mann in Jahrhunderten erdacht und geformt wurde; je mehr man also aus tausend Blickwinkeln und in tausend Facetten die kulturelle Erbschaft jenes Mannes aus Knittlingen kennen und kritisch bewundern lernt [...], im Faust-Museum und Archiv [...], ganz in der Nähe seines Geburtshauses ‚rechter hand vf dem berg neben der Cappel‘. Aus der ‚Cappel‘ ist die heutige Stadtkirche geworden, und von einem ‚berg‘ zu sprechen, erscheint dann doch etwas allzu alpin; und Fausts Geburtshaus hat mit dem jetzt auf selbem Platz stehenden Gebäude nur mehr ein paar Grundmauern gemein. Aber dort, ‚allwo Fausten born‘, dort, wo jener weit über den deutschen Sprachraum hinaus bekannte Mann vor [gut] 500 Jahren zur Welt kam, wird seiner immer noch [...] gedacht. Sein Geburtshaus ist wie die meisten anderen Häuser auch im 17. Jahrhundert der überaus unruhigen und katastrophenreichen Geschichte Knittlingens zum Opfer gefallen. Sein neues Haus aber — schöner, größer, zentraler und gastlicher als das einstige — zeugt, und dies in einer hoffentlich langen und friedfertigen Zukunft, von einem Mann, der die denkbar weitgreifendste und eine von allen literarischen Moden völlig unabhängige Karriere gemacht hat, der in aller Welt berühmt wurde und dem an keiner Stelle dieser Welt ‚platzierter‘ hätte gehuldigt werden können als eben dort, wo er geboren wurde und wo jetzt ein Denkmal, sein Geburtshaus, ein Museum und Archiv an ihn erinnern, in Knittlingen.“ [Der Mann aus Knittlingen, S. 32 f.]

Für weitere Informationen besuchen Sie bitte die Internetseite:
http://faustmuseum.de

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- Orstvermessung
Hurst, Harald: „Ortsvermessung I. Einwandfrei“. In: Günther Mahal (Hg.): Ortsvermessung : z. B. Knittlingen ; Texte, Lieder u. Collagen zu d. 5. Baden-Württemberg. Literaturtagen. Mit Beiträgen von Dieter Huthmacher, Harald Hurst, Irmela Brender, Stephan Kaiser, Hellmut G. Haasis, Wilfried Gerhard und Bernhard Lassahn / Günther Mahal (Hg.) – Karlsruhe: Edition G. Braun GmbH, 1988, 97 S.
ISBN 3-7650-8057-8

- Faust-Museum Knittlingen
Faust-Museum Knittlingen – Exponate, Materialien, Kommentare / zsgest. von Günther Mahal. – Stuttgart : Verl. Paul Daxer GmbH, 1980. 194 S.
ISBN 3-922815-00-6

- Der Mann aus Knittlingen
Faust. Der Mann aus Knittlingen : Dokumente, Erläuterungen, Informationen / Mahal, Günther. – Knittlingen, 1980. 94 S.

- Westermann
Faust-Museum und Faust-Archiv / Mahal, Günther. – Braunschweig : Georg Westermann Verl. GmbH, 1984. 130 S.
ISSN 0341-8634

- Darstellung der zwei Abteilungen
Faust-Museum Knittlingen : Katalog – Darstellung der zwei Abteilungen des Museums und ihrer Exponate. 16 S.

- Maus:
Faust — Eine deutsche Legende / Maus, Hansjörg. — Wien und München, Meyster Verlag GmbH, 1980. 396 S.
ISBN 3 7057 6001 7

* H. Schwerte, Das Faustische — eine deutsche Ideologie, Stuttgart 1962.

** Oswald Spengler, Götterdämmerung.

     
             
 

 

 

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